Ministerpräsident Davutoğlu: Die Türkei ist ein Spielwender in der Flüchtlingskrise

SERDAR KARAGÖZ @serdarkaragoz
FLUGZEUG DES MINISTERPRÄSIDENTEN
Veröffentlicht 09.03.2016 00:00
Aktualisiert 09.03.2016 18:01
Ministerpräsident Davutoğlu: Die Türkei ist ein Spielwender in der Flüchtlingskrise

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu sprach am frühen Dienstag mit Reportern bei seinem Rückflug vom EU-Türkei-Gipfel in Brüssel, und beschrieb die Vorschläge, die er den EU-Staats- und Regierungschefs am Montag präsentiert hatte, als Spielwende, der das Potenzial hat, die Flüchtlingskrise zu überwinden. „Es waren fruchtbare Verhandlungen", sagte er in Bezug auf den Gipfel.

„Um die Wahrheit zu sagen, gab es Vorschläge, die unter normalen Bedingungen schwer zu akzeptieren wären. Es gibt den Bedarf für einen klaren Schritt, einer Spielwende. Wenn wir weiter machen wie bisher, ist es uns unmöglich die Flüchtlingsströme einzudämmen und dies würde unsere Beziehungen mit der EU schaden." Im vorläufigen Abkommen zwischen der Türkei und der EU, die am späten Montag vereinbart wurde, steht, dass die Türkei die Migranten zurücknimmt, die in der Ägäis aufgefangen werden oder Griechenland erreichen, ohne dass sie einen Asylantrag stellten. Basierend auf einem Eins-zu-eins-Prinzip werden die EU-Länder Migranten aus der Türkei akzeptieren, deren Wahrscheinlichkeit hoch ist, Asyl zu erhalten.

Die EU hat versprochen die für die Türkei vorgesehene Flüchtlingshilfe von 3 Milliarden Euro zu verdoppeln, die Visabeschränkungen für türkische Bürger bis Ende Juni aufzuheben und die EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei zu beschleunigen. Die Türkei und die EU einigten sich zum 18. März ein weiteres Gipfel-Treffen zu halten, um jegliche Verhandlungen abzuschließen.

Davutoğlu sagte, dass die Überfahrt von Flüchtlingen nach Griechenland innerhalb eines Monats dramatisch zurückgehen wird. „Sobald sie erkennen, dass sie zurück geschickt werden, wagen sie keinen Überfahrtsversuch mehr", sagte er und fügte hinzu: „Das heißt nicht, dass Europa keine Flüchtlinge aufnimmt, nur weil der Flüchtlingsstrom gestoppt wurde. Europa wird weiterhin eine bestimmte Zahl von Flüchtlingen aufnehmen."

Er brachte zu Wort, dass der Plan der Türkei unerwartet war. „Die Flüchtlinge sind eine wirklich schwere Last geworden. Nicht nur Syrer und Afghanen, alle Flüchtlinge, die die Ägäis überqueren, rufen ihre im Heimatland gebliebenen Verwandten an, um zu erklären, wie sie diese Reise angehen können. Sie erklären ihnen, wo sie ein Boot kaufen können und was sie tun müssen, wenn sie Griechenland erreichen. Unabhängig von der syrischen Krise ist die Türkei ein Magnet für Migranten geworden. Wir meinen: Lasst uns auf solch einen Deal einigen, der den Missbrauch von Migranten verhindert, aber nicht die Verpflichtung Europas aufhebt. Mit anderen Worten, wollen wir den Menschenhandel beenden, während kontrollierte Einreisen erlaubt werden. Falls diejenigen, die zu uns zurückgeschickt werden, nicht Syrer sind, werden sie in ihre Heimatländer zurückgeschickt. Wir werden Syrer in Lagern unterbringen. Im Gegenzug wird Europa einen Syrer für jeden zurückgeschickten Syrer aufnehmen."

Die europäischen Länder haben bereits eine Quotenregelung, sagte Davutoğlu und fügte hinzu: „Auf diese Weise beseitigen wir die Hoffnung der Flüchtlinge, Europa über die Ägäis zu erreichen."

Er sagte, dass 10.000 Migranten in einem Monat in die Türkei zurückgeschickt wurden. „Die Hälfte dieser ist syrisch und die andere Hälfte nicht. Wir werden sie zu ihren Heimatländern zurückschicken. 5.000 Syrer werden in Lager untergebracht und die EU wird 5.000 Syrern die Einreise nach Europa auf eine kontrollierte Art und Weise ermöglichen."

„Dies war nicht der Plan, den sie sich vorgestellt hatten. Sie erwarteten von der Türkei den gesamten Strom an Flüchtlingen durch intensive Sicherheitsmaßnahmen zu stoppen. Ganz gleich inwiefern man die Maßnahmen verbessert, werden die Flüchtlinge immer einen Weg finden, die Ägäis zu überqueren. Wir diskutierten auch darüber, da das Rückübernahmeabkommen vor Juni beginnen soll, das die Aufhebung der Visabeschränkungen ebenfalls bis Juni beginnen sollte. Da wir bestimmte Gesetze für dieses Abkommen verabschieden müssen, sollte die Aufhebung des Visums bis Ende Juni erfolgen", sagte er.

In Bezug auf die Vereinbarung über die EU-Finanz-Hilfe für Syrer in der Türkei von 3 Milliarden Euro auf 6 Milliarden zu erhöhen, sagte Davutoğlu, dass er den europäischen Staats- und Regierungschefs erklärte, dass die Kosten, um die Flüchtlinge zu beherbergen, ständig zunehmen, und dass die Kosten des Rückübernahmeprozesses und das Senden der Flüchtlinge in ihre Heimatländer von der EU getragen werden sollten.

„Das bedeutet zusätzliche 3 Milliarden Euro. Man (die europäischen Beamten) erwähnte dies in den Bemerkungen nach dem Gipfel nicht, weil sie ein Gipfel-Beschluss zur Genehmigung benötigen. Sie müssen sich für den 18. März vorbereiten. Europa wird die 6 Milliarden Euro zur Verfügung stellen; 3 Milliarden für 2016 und 3 Milliarden für 2017 und 2018. Außerdem fragten wir nach der Eröffnung der Beitrittsverhandlungskapitel 15, 23, 24, 26 und 31. Die griechische Republik Zypern widersetzt sich dagegen. Wir werden sehen, wie diese am 18. Marz abgeschlossen werden."

Aufruf an die Opposition

Davutoğlu sagte, dass das Parlament neun verschiedene Gesetze genehmigen muss, damit türkische Bürger von der Aufhebung der Visumpflicht profitieren können. „Die Opposition muss sie unterstützen. Als ich mit Kemal Kılıçdaroğlu (Chef der Republikanischen Volkspartei) und Devlet Bahçeli (Chef der Nationalistischen Bewegungspartei) über das Thema sprach, versicherten sie mir ihre Unterstützung. Jedoch blockieren sie die Verabschiedung des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Daten. Wenn wir alle notwendigen Gesetze in März und April verabschieden, wird der Europäische Rat ihren Bericht am 1. Mai präsentieren. Dann muss dieser Bericht von allen Mitglieds-Parlamenten genehmigt werden. Unsere Geschwindigkeit ist von größter Bedeutung. Dies ist ein historischer Wendepunkt." Er sagte auch, dass die europäischen Führungskräfte auf den griechischen Teil Zyperns Druck ausüben müssen, damit diese dem Visum-Plan zustimmen.

Als gefragt wurde, wer entscheiden würde, welche Flüchtlinge nach Europa geschickt werden, antwortete Davutoğlu: „Das die gebildeten nach Europa reisen und die ungebildeten in der Türkei bleiben, ist aus der Luft gegriffen. Solche Entscheidungen werden mit einem Prozess entschieden, in der die Türkei eine Rolle spielen wird."

Davutoğlu sagte auch, dass das endgültige Kommuniqué des Gipfels Sätze enthält, die nur als Sicherheitszone in Syrien aufgefasst werden können. Er sagte, dass die deutsche Kanzlerin Angela Merkel eine Videokonferenz mit dem britischen Ministerpräsidenten David Cameron, dem französischen Präsidenten François Hollande, dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi und dem russischen Präsident Wladimir Putin hielt. „Merkel informierte mich über die Gespräche. Sie erzählte über ihr Gespräch mit (US-Präsident Barack) Obama." Bei seinem Treffen mit Merkel, Hollande, Cameron und Renzi, war eines der Themen die Errichtung einer Sicherheitszone in Syrien, sagte Davutoğlu.

„Während einige gegen dieses Wort widersprachen, konnte man aus dem Kommuniqué die Sicherheitszone entnehmen. Dies ist das erste Mal, dass solch ein Text in ein EU-Dokument eingetragen wurde. Derzeit haben wir keine direkte Kommunikation mit Russland. Ich bat Merkel mit Russland zu sprechen, während wir mit regionalen Ländern kommunizierten. Und dann können wir alle mit der USA reden."

SMS-Diplomatie mit Merkel

Davutoğlu sagte, dass er sich mit Merkel und dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte eine Nacht vor dem Türkei-EU-Gipfel getroffen hatte. „Das Treffen dauerte sechs Stunden. Wir sprachen über unseren 12-Punkte-Plan mit Merkel und Rutte, die solch einen Schritt nicht erwarteten. Am Morgen trafen wir uns mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz und dem Präsidenten der Europäischen Kommission Jean-Claude Junker. Danach trafen wir uns mit (dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis) Tsipras und gingen dann zum Gipfel." Merkel, die den türkischen Plan unterstützte, wollte den Strom ändern, sagte Davutoğlu. „Sie wollten den Europäischen Rat versammeln, um unseren Plan zu diskutieren. Wir trafen uns und ich beantwortete alle ihre Fragen. Wir machten eine Pause und versammelten uns wieder."

Davutoğlu brachte zu Wort, dass als sich der 28-köpfige Europäische Rat versammelte, er sich mit dem NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg traf. „Trotzdem kommunizierten wir mit Merkel über ihr Treffen mit Textnachrichten. Dann trafen wir uns mit Merkel wieder, nachdem sie sich wieder versammelten. Wir hatten ein paar Einwände, die gelöst wurden. Die ermutigendste Sache ist der Stand der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU; die sich im Vergleich zu vier oder fünf Monaten erheblich verbessert haben."

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