Millionen Menschen in Istanbul verbrachten Neujahr mit der Hoffnung, dass 2017 ihnen Ruhe und Frieden bringen würde. Zusammen mit Freunden und Familien zählten sie Minuten und Sekunden bis das neue Jahr eingeläutet wurde. Sicherlich gibt es nichts Magischeres als den 1. Januar — der erste Tag des neuen Jahres wird mit Freude in Empfang genommen. Auch wenn der Kalender mehr aus praktischen und wirtschaftlichen Gründen erstellt wurde, sehen doch manche Menschen eine Chance darin einen neuen Anfang starten zu können. Neue Pläne werden für das frische Jahr geschmiedet. Die Hoffnungen wachsen.
Auch die Istanbuler wagten es zu hoffen, hegten Wünsche und hatten Pläne. Es war eine kalte, aber friedliche und schöne Nacht in der Stadt, die Europa und Asien verbindet. Die Sicherheitsbehörden trafen zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen. Die Öffentlichkeit sollte sich sicher fühlen – trotz Anschläge, die nur wenige Wochen zuvor Städte im ganzen Land erschütterten. Tausende von Polizisten waren in dieser Nacht nicht bei ihren Familien, sondern auf den Straßen unterwegs, um die höchstmögliche Sicherheitsstufe zu garantieren.
Nein, der Terrorangriff, der in einem beliebten Nachtclub gegen 01:30 Uhr am Sonntag stattfand, war nicht vorhersehbar. Es dauerte nur sieben Minuten. Der Angreifer schoss sich seinen Weg durch die Menge, bis er schlussendlich genau in dieser untertauchte und verschwinden konnte. 39 Menschen haben ihr Leben verloren. 65 weitere Personen wurden verletzt.
Schnell verbreitete sich die Nachricht, dass Dutzende in dieser Nacht abgeschlachtet wurden. Ein ganzes Land verlor die Hoffnung auf ein friedliches 2017. Innerhalb weniger Minuten drehte sich das Blatt: Aus euphorischer Neujahrsfreude wurde tiefe Trauer.
Seit dem Anschlag in Suruç vom Juli 2015 ist die Türkei immer wieder von Daesh-Terroristen angegriffen worden. Vermutlich stecken sie auch hinter dem Neujahrs-Angriff in Istanbul. Die Ähnlichkeiten zwischen dem Nachtclub-Angriff und dem Bataclan-Theater-Massaker in Paris, bei dem 89 Menschen ums Leben kamen, sind erschreckend ähnlich. Auch bei dem Angriff in Frankreich konnte der Angreifer von dem Angriffsort entkommen.
Die Terrororganisation Daesh zielte bei ihren vergangenen Angriffen auf kurdische und oppositionelle Gruppen, Fußballspiele und Hochzeiten. Der jüngste Angriff richtete sich auf einen beliebten Nachtclub und wurde weitgehend von westlichen Medien abgedeckt. Die westlichen Experten, die die Terrorangriffe in der Türkei nicht als Angriffe gegen die Zivilisation, Ordnung und Stabilität betrachten, hatten kein Problem damit zu sagen, dass Daesh westliche Werte angriff. Immerhin zielte der Angreifer auf einen Nachtklub. Selbstverständlich wäre es schockierend, dass sie es wagen würden, solche Worte laut zu sagen. Die Menschen in der Türkei glauben nicht, dass Daesh eine Bedrohung gegen unseren Lebensstil ist, sondern vielmehr unsere Stabilität und soziale Ordnung angreift.
Als Daesh eine überwiegend kurdische Oppositionsgruppe außerhalb des Bahnhofs in Ankara angriff, waren sie nicht durch ihren Hass gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen oder ihren Lebensstil motiviert. Die Terroristen wollten auf soziale Bruchlinien zielen und die gesamte Nation brechen.
Ein weiteres beliebtes Thema in der Medienberichterstattung über den Angriff am Sonntag war die öffentliche Debatte über Weihnachten und Silvesterfeiern. Jeder weiß, dass Weihnachten am 25. Dezember gefeiert wird, während Silvester sechs Tage später stattfindet. Auch wenn einige religiöse Menschen nicht daran glauben, dass es der islamischen Tradition passt, verankerten sich in der Türkei viele Weihnachtsrituale wie Weihnachtsmann und Weihnachtsschmuck in Feierlichkeiten zum Silvesterabend, womit sich zwei verschiedene Tage in einen verwandeln. Mit dem Hintergrund dieser langjährigen Debatte wird in der Türkei seit mehr als 100 Jahren Silvester ohne größere Probleme gefeiert.
Als Stadt hat Istanbul immer einen kosmopolitischen Charakter und bleibt ein beliebtes Ziel für Touristen aus der ganzen Welt, um Neujahr zu feiern. Ganz gewiss es ist ein großer Fehler, Terrorangriffe, die die Menschen erschrecken und die soziale Ordnung verunsichern möchten, zu einer irrelevanten öffentlichen Debatte über Lebensstile zu verknüpfen.
Nochmal wenn es noch immer nicht ganz klar ist: Die Terroristen, versuchen die Stabilität, Ordnung und Wohlstand des türkischen Staates zu untergraben. Die Behauptung, dass eine intellektuelle Debatte zu Terrorangriffen führt, ist nicht nur unwissend - sie hilft auch den Terroristen, um das zu erreichen was sie wollen. Dass die Europäer probieren Terrorangriffe als einen Angriff auf ihre Wertvorstellungen sehen, bringt uns in keinster Weise weiter.
Heute gibt es nur eine Frage die wir uns stellen sollten: Wie viele Terroranschläge hat die Türkei noch zu ertragen, bevor die internationale Gemeinschaft tatsächlich anfängt Terrorismus vor Ort und effektiv zu bekämpfen?