Die SPD-Spitze rückt nach dem Platzen der Jamaika-Sondierungen von Neuwahlen ab und bringt eine Unterstützung einer Unions-geführten Minderheitsregierung ins Spiel.
CDU und CSU wollen diesen Weg bislang aber nicht gehen, weil Deutschland stabile Verhältnisse brauche. «Neuwahlen wären ein Armutszeugnis», sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Zu Wochenbeginn hatte die SPD-Spitze nach dem Jamaika-Aus auf Vorschlag von Parteichef Martin Schulz einstimmig folgenden Beschluss gefasst: «Wir halten es für wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger die Lage neu bewerten können. Wir scheuen Neuwahlen unverändert nicht.» An diesem Donnerstag wird Schulz zum Gespräch beim Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier erwartet.
Am Dienstagabend versicherte Schulz dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron seine Unterstützung für dessen Vorschläge zur Erneuerung Europas. In einem Telefonat zeigte sich Schulz besorgt, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) keinen Finger krumm mache, um Macron bei EU-Reformen zu unterstützen. Deutschland drohe in der Europapolitik absehbar auszufallen.
Für eine große Koalition sei die SPD nach den Worten Stegners aber unverändert nicht zu haben: «Eine Friss-oder-stirb-Haltung wird die SPD nicht einnehmen», sagte Stegner. Ein Abrücken vom Groko-Ausschluss würde den Kern der sozialdemokratischen Glaubwürdigkeit beschädigen. Der nordrhein-westfälische Parteichef Michael Groschek sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Frau Merkel ist mit ihrem Jamaika-Traumschiff gekentert und sie muss nun sagen, wie es weitergehen soll.»
Die SPD hatte vor acht Wochen am Abend der Bundestagswahl nach dem Absturz auf ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis entschieden, in die Opposition zu gehen.
Auch SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel hält eine Minderheitsregierung für denkbar. «Das ist eine Frage, die in Gesprächen auch erörtert werden muss», sagte der hessische SPD-Landesvorsitzende im ZDF. Eine Neuauflage der großen Koalition lehne seine Partei derzeit ab. «Wir wollen keine österreichischen Verhältnisse.» Dort hätten die ständigen schwarz-roten Bündnisse zu einer Stärkung der politischen Ränder geführt. Auch aus inhaltlichen Gründen sehe die SPD «momentan keine Basis» für eine große Koalition.
Der Sprecher des rechten SPD-Flügels «Seeheimer Kreis», Johannes Kahrs, forderte Schulz auf, offen in das Gespräch mit Steinmeier zu gehen. «Nach dem Aus von Jamaika haben wir eine neue Situation», sagte Kahrs in der «Passauer Neuen Presse». «Wir können dem Bundespräsidenten nicht sagen: Rumms, das war's.»
Sachsen-Anhalts SPD-Fraktionschefin Katja Pähle erklärte, ihre Partei dürfe sich Gesprächen über eine große Koalition nicht verweigern. Dafür müsse die SPD aber klare Bedingungen formulieren. Die baden-württembergische SPD-Landeschefin Leni Breymaier sieht es ähnlich. «Ich habe es für wahrscheinlich gehalten, dass das klappen wird mit Jamaika. Daher schließe ich in diesen Tagen nichts mehr aus», sagte sie der dpa.
Hinter den Kulissen gibt es teils harsche Kritik an Schulz, der sich zu schnell auf die Option Neuwahlen festgelegt habe. Viele alte und frisch gebackene SPD-Bundestagsabgeordnete wollen nicht das Risiko eingehen, ihr Mandat sofort wieder zu verlieren. Stegner forderte mehr Loyalität mit Schulz ein: «In diesem schwierigen Prozess braucht der Parteivorsitzende die uneingeschränkte Unterstützung der gesamten Parteiführung. Das verträgt sich nicht mit Angriffen auf den Vorsitzenden.»
In zwei Wochen will der gescheiterte Kanzlerkandidat Schulz bei einem Parteitag erneut für den Vorsitz kandidieren. Zu seinen schärfsten innerparteilichen Kritikern zählt Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz.
In SPD-Führungskreisen gibt es unverändert Anhänger einer Fortsetzung eines Bündnisses mit CDU und CSU. Die SPD könne jetzt jeden Preis von Merkel fordern, heißt es. Es sei klüger, wieder mitzuregieren als in ein paar Monaten bei Neuwahlen zu riskieren, noch unter 20 Prozent abzurutschen. Sehr gut denkbar wäre bei einer Neuauflage der Groko, dass die SPD angesichts von finanziellen Spielräumen bis zu 45 Milliarden Euro das Finanzministerium beanspruchen würde.