Die Vorbereitungen zum G20-Gipfel, der zwischen dem 7- und 8. Juli in Hamburg stattfinden wird, sind im vollen Gange. Die Staatschefs organisieren noch die letzten Themen, die es anzusprechen gilt und auch die Demonstranten hatten bereits ihre Zelte aufgeschlagen – jedenfalls bis die Polizei kam und sie niederriss, trotz vorheriger rechtlicher Genehmigung für den Demonstrationsort.
Der G20-Gipfel steht auch in der Türkei auf der Tagesordnung. Beschattet wird die Anreise Präsident Erdoğans von der Streitigkeit mit Deutschland, aber auch das Verhältnis zu anderen EU-Staaten hat schon mal bessere Tage erlebt.
Während der Referendums-Zeit hatten einige EU-Staaten, allen voran die Niederlande, die Auftritte und Treffen türkischer Minister verhindert, es kam zum Eklat, nachdem die türkische Ministerin für Familien- und Sozialpolitik, Fatma Betül Sayan Kaya, der Zutritt zum türkischen Konsulat verwehrt worden war – anschließend wurde sie sogar außer Landes verwiesen. Auch in Deutschland gab es ähnliche Vorfälle. Dem türkischen Justizminister wurde abrupt der Auftritt in der Festhalle „Bad Rotenfels" in der baden-württembergischen Stadt Gaggenau untersagt. Kommunen verhinderten die Veranstaltungen mit angeblichen „Sicherheitsbedenken", die Bundesregierung wies die Verantwortung von sich.
Die türkische Regierung kritisierte die Haltung der EU-Staaten mit dem Vorwurf, dass sie die fundamentalen Grundrechte, die sie bei jeder Gelegenheit predige, selber nicht einhalte – in dem Fall ging es um die Rede- und Versammlungsfreiheit. Man wolle nicht zulassen, dass die türkische Innenpolitik nach Deutschland verlagert wird, hieß es Seitens der Bundesregierung – die türkische Innenpolitik war aber schon längst in Deutschland angekommen. Denn die türkische Opposition hatte keine Probleme ihr „Nein"-Lager lautstark zu vertreten, Unterstützung gab es von fast allen deutschen etablierten Parteien. Das Parteibüro der Grünen in Dortmund war sogar lange Zeit mit vielen „Hayır!" (Nein!) Slogans geschmückt. Diese Doppelmoral empörte die türkische Öffentlichkeit. Wieso man auf der einen Seite den offiziellen türkischen Regierungsvertretern, die Bewegungs- und Redefreiheit einschränkt und auf der anderen Seite die Opposition unterstützt, verstand man nicht. Diese Ungerechtigkeit ging dann sogar der türkischen Opposition zu weit. Die „Republikanische Volkspartei" (CHP) protestierte gegen die Maßnahmen, diese seien „undemokratisch".
Der Istanbul-Abgeordnete der AK-Partei und Vorsitzende der Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments, Mustafa Yeneroğlu, sagte gegenüber der Daily Sabah, dass man immer davon ausgegangen wäre, dass man in Deutschland „zu Gast bei Freunden" sei, aber man müssen doch ernüchtert konstatieren, dass man „als Gastgeber nie in dieser Art und Weise" mit den Gästen umgehen würden. „Egal wie groß die politischen Differenzen auch sein mögen", so Yeneroğlu.
Danach folgten weitere Krisen mit Deutschland. Einigen Abgeordneten des Bundestages blieb bald darauf der Zutritt zum Luftwaffenstützpunkt in Incirlik verwehrt. Es handelte sich um Abgeordnete, die offenkundig enge Beziehungen zur PKK und PKK-nahen Organisationen pflegten. Die Retourkutsche war geglückt, die türkische Regierung gab bis zuletzt nicht nach, nun werden die deutschen Truppen nach Jordanien verlegt – einem strategisch und logistisch ungünstigen Stützpunkt. Diese Haltung des Bundestages wurde in der Türkei als Sturheit wahrgenommen. Denn einerseits verstummt die Kritik an der türkischen Regierung zu keiner Zeit, andererseits tut sich die deutsche Politik und Öffentlichkeit schwer mit der Kritik, die an sie gerichtet wird. Es scheint schwer zu fallen, sich von gewohnten Denkmustern zu trennen.
Muhammet Tacettin Kutay, wissenschaftlicher Mitarbeiter der „Türkisch-Deutschen" Universität in Istanbul, meint, dass die deutsche Politik keine Kritik aushält und sofort den „Beleidigten" spiele.
Parallel zu den Geschehnissen, tauchte plötzlich der „Welt"-Korrespondent Deniz Yücel in den Schlagzeilen auf. Er hatte sich mit Funktionären der Terrororganisation PKK in Kandil getroffen, darunter auch mit Cemil Bayik, ein ranghohes Gründungsmitglied der PKK. Infolge dessen wurde der deutsch-türkische Journalist in der Türkei festgenommen. Er behauptete lediglich seine Arbeit getan zu haben, die türkische Justiz war da anderer Meinung. In Deutschland führte das zu einer großen Solidaritätswelle, überall war der Hashtag „#freedeniz" zu lesen.
Eine weitere Krise bahnte sich an, nachdem bekannt wurde, dass einigen flüchtigen Putschisten des „Gülenisten-Terrorkults" (FETÖ) in Deutschland Asyl zugesprochen wurde. Jene hätten sich eigentlich vor den türkischen Gerichten verantworten müssen, nun haben sie erst mal nichts zu befürchten. Denn die Bundesrepublik und die deutsche Justiz wollen von der Schuld der FETÖ nichts wissen, sie sehen die Organisation und ihren Anführer Fetullah Gülen nicht als verantwortliche Protagonisten für den Putschversuch des 16. Julis – obwohl die türkische Regierung, der Bundesrepublik Haufenweise Ordner mit entsprechenden Beweisen, Zeugenaussagen und Anhörungen schickte.
Das man die deutschen Gesetzte bei Delikten von Oppositionellen nicht ganz so ernst nimmt, weiß man spätestens nach den geduldeten PKK-Aktivitäten.
Die deutschen Medien tragen weitestgehend die Haltung der deutschen Politik. Gut und Böse sind klar definiert, Ausnahmen gibt es kaum. Auf der einen Seite scheinbar das gerechte Europa, die Wiege der Demokratie und Freiheit und auf der anderen Seite der angebliche Despot, dem es nur um Macht geht und nicht um das Wohl des Volkes. Die Tatsache, dass Erdogan und die AK-Partei seit 2002 immer wieder vom Volk gewählt werden und sogar mit absoluter Mehrheit, scheint unwichtig zu sein.
Yeneroğlu dazu: „Es gehört zu den Wesensmerkmalen unserer Zeit, dass man dem postfaktischem mehr Glauben schenkt als der Wahrheit. In diesem Sinne bestimmen schon längst nicht mehr Tatsachen und Fakten die Berichterstattung über die Türkei. Das scheint auch die politisch Verantwortlichen in Deutschland nicht mehr zu stören." Dies könne man nicht allein mit dem Wahlkampf in Deutschland begründen, es werde „unkritisch das Narrativ einer vermeintlichen Diktatur in der Türkei übernommen", wovon der Umgang mit derselben bestimmt sei. „Alle moralischen Dämme" seien scheinbar gebrochen.
Auch in den türkischen Akademiker Kreisen ist man nicht sonderlich optimistisch, was die Zukunft der Beziehungen zu Deutschland angeht. „Wir wollen natürlich hoffen, dass die türkisch-deutschen Beziehungen sich zum Positiven entwickeln." Dies hänge in erster Linie aber von der Haltung der deutschen Regierung ab, so Hüsnü Yavuz Aytekin, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der „Türkisch-Deutschen Universität" in Istanbul.
Ob der G20-Gipfel zu einer Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen führen wird, ist fraglich. Jedenfalls wird es genug Zeit geben, um die Probleme anzusprechen und Lösungen zu finden. Letztendlich sind alle Seiten an freundschaftlichen Beziehungen auf einer soliden Vertrauensbasis interessiert.