Das Referendum ist gestern zu Ende gegangen. Das türkische Volk hat sich mit einer Mehrheit von 51,41 Prozent für das Präsidialsystem entschieden. Doch die Diskussionen gehen weiter. Es war aber irgendwie nicht überraschend, dass die Ergebnisse, die aus den Auszählungen hervorgegangen sind, angefochten werden. So besteht die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) auf eine Neuzählung von ganzen 40 Prozent der Wahlzettel. Kritikpunkt sind die Umschläge, die fälschlicherweise nicht gestempelt worden sind.
Die türkische Wahlkommission erklärte gestern, auch die Stimmzettel ohne offizielles Siegel würden - so lange keine konkreten Betrugsfälle ersichtlich seien – anerkannt werden. Diese Entscheidung wurde bereits im Vorfeld getroffen. Wahlbeobachter aus den Parteien waren an den Wahlständen und bei den Auszählungen präsent, um einen fairen Ablauf zu gewährleisten. Ein Betrugsfall, so wie von einigen Seiten behauptet wird, war unter diesen Umständen extrem unwahrscheinlich.
Die Reaktionen aus Europa auf den Wahlausgang waren – wie hätte man es auch anders erwarten können – weitgehend negativ. Hatte man sich doch im Vorfeld aktiv für das „Nein"-Lager eingesetzt. Die „Ja"-Stimmen waren in Ländern wie Deutschland, Holland oder Belgien besonders hoch. Erstere hatten für einen diplomatischen Eklat gesorgt, als sie türkischen Politikern Einreisen oder Auftritte verwehrten. Die Stimmen für das „Ja" sollten verstummen, aber erreicht hat man - so wie man nun deutlich sehen kann - genau das Gegenteil.
Bundeskanzlerin Merkel klang leicht designiert, als sie mit einer gemeinsamen Erklärung mit Außenminister Sigmar Gabriel verlauten ließ, dass man in der Türkei nun einen „respektvollen Dialog" mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes anstreben müsse.
Deutlicher waren die Aussagen vom SPD-Chef und Kanzlerkandidaten Martin Schulz. „Der knappe Ausgang des Referendums zeigt: Erdoğan ist nicht die Türkei. Einsatz für Demokratie und Menschenrechte muss weitergehen", schrieb er auf Twitter. Jener wird aktuell dafür kritisiert inhaltslosen Populismus zu betreiben, ohne einen wirklichen sozialen Kurswechsel der SPD zu wagen.
Der CSU- und Europapolitiker Manfred Weber, fand noch härtere Worte und griff auch das Lieblingsthema der Union auf: Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Er erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa: „Präsident Erdoğan hat mit seinem Referendum eine gespaltene Nation hinterlassen." Außerdem bezeichnete er die Beitrittsperspektive für die Türkei als „Lebenslüge", die nun endlich vom Tisch genommen werden müsse. Die CSU war bisher noch nie für ihre Türkei-freundliche Politik bekannt. Im deutschen Inland bekommen das vor allem die türkischen Bürger zu spüren. Viele, vor allem fromme Türken, fühlen sich ausgegrenzt, da sie das Gefühl haben, nur dann vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu werden, wenn sie ihre Religion, ihre Kultur und am besten noch ihren Namen ablegen.
Die Politik ist aber vorerst zurückhaltend. Man will in Deutschland – und auch EU weit - die Einschätzung der OSZE abwarten.
Heftiger sind die Berichte in den deutschen Medien. Präsident Erdoğan wird weiterhin als Herrscher und nicht als Politiker stilisiert. „Erdoğan wie ein osmanischer Sultan", titelt der „Express", „Alle Macht für Erdoğan? - Der Egoismus siegt", schreibt n-tv. „Der Tod der türkischen Republik" heißt es in einem Kommentar der „Zeit". Der „Focus" setzt auch weiterhin darauf das Chaos zu beschwören: „Experte fürchtet Ausbruch der Gewalt nach Türkei-Votum", heißt es dort, als ob die Türkei nicht schon vorher mit dem Terror zu kämpfen hätte.
Dabei zeigten sich Politiker der AK-Partei nach dem Wahlausgang versöhnlich und dialogbereit. Keine Spur von polarisierender und spaltender Rhetorik. „Es ist der Moment der Solidarität, der Einheit, des Zusammenhalts in der Türkei gekommen", so Ministerpräsident Binali Yıldırım. Es gebe keine Verlierer, sondern nur Gewinner.
Wie sich die Lage und Berichterstattung in den nächsten Tagen entwickelt, wird sich noch zeigen. Zu wünschen wäre eine Entspannung der Lage und ein Ende der Hetze gegen die türkische Regierung und Präsident Erdoğan.