Die Eröffnung der „Ibn-Rushd-Goethe-Moschee" am vergangenen Freitag in Berlin-Moabit war für die Rechtsanwältin und selbsternannte Frauenrechtlerin Seyran Ateş eine medienwirksame Aktion. Man hatte erreicht, was man wollte. Die neu gegründete Gemeinde zählt gerade mal 25 Mitglieder, genießt dafür aber eine umso größere Aufmerksamkeit - zumindest in den deutschen Medien. Die Mitglieder bezeichnen sich selbst als „liberal" - um das zu beweisen, beten Männer und Frauen zusammen. Seyran Ateş spielt dafür die Rolle der Vorbeterin. Die Frauen tragen die Haare demonstrativ offen. Mit Regeln und Normen nimmt man es dort nicht so ernst - sie werden neu geschaffen.
Die deutsche Medienlandschaft feiert sie jetzt schon als Revolutionärin - von den Muslimen und aus dem Ausland erntet sie jedoch breite Kritik. Sogar das ägyptische Fatwa-Amt hat sich in die Debatte eingeklinkt und die Gemeinde scharf kritisiert, ihr quasi die Legitimation entzogen. Nur wenige Muslime nehmen Ateş ihre Rolle als „Imamin" ab, alles wirkt gestellt. Die Gemeinde ähnelt eher einer Filmkulisse als einer Moschee - überall Kameras und Mikrofone, während Ateş als Vorbeterin gut in Szene gesetzt ihr Gebet beginnt.
Viele kennen Seyran Ateş eigentlich als scharfe Islamkritikerin, weniger als spirituelle Vorreiterin. Ihr Verhalten wirkt daher auf viele ambivalent. Sie gehört darüber hinaus zu den Unterzeichnern der „Freiburger Deklaration", einer gemeinsamen Erklärung von bekannten Islamgegnern, die sich gegen das Kopftuch im öffentlichen Raum richtet. Das ging dann sogar dem „Liberal-Islamischen Bund" (LIB) zu weit: „Eine progressive Auslegung des Islam darf keinen Absolutheitsanspruch formulieren." Sie müsse auch konservative Sichtweisen respektieren, so Nushin Atmaca, erste Vorsitzende des LIB. Denn hier steckt auch das eigentliche Problem. Nämlich die undifferenzierte Dämonisierung der als „konservativ" eingeordneten Islamanschauungen. Diese werden dann als nicht gesellschaftskonform gebrandmarkt und mit Vorurteilen stigmatisiert.
Ateş erzählt in der Öffentlichkeit gerne von ihrer Nahtoderfahrung – darüber hat sie bereits ein Buch geschrieben. Sie ist fest davon überzeugt, dass sie dem Tod entronnen ist, weil sie ihr Lebenswerk noch nicht vollendet habe. Anders ausgedrückt: Sie sieht sich von himmlischen Mächten als heilige Reformatorin des Islams berufen - auch wenn sie das nicht in dieser Deutlichkeit formuliert. Von außen betrachtet kann man sie aber nicht so wirklich ernst nehmen, eher belächeln. Ihre bunte Gemeinde hat jedenfalls etwas von einer verspäteten New-Age-Bewegung. Wie das enden kann, wissen wir aber spätestens seit Charles Manson.
Vielleicht rührt die recht hohe Popularität ihrer Person eben auch daher, weil sie all das verkörpert, was in das gesellschaftliche Paradigma von einer Religion passt. Ateş verkörpert das Wunschbild. Glaubensinhalte sollen idealerweise so weit assimiliert werden, dass sie sich nicht mehr daran stoßen. Das heißt: Die theologischen Auslegung muss sich nach der Gesellschaft richten. Alles was gesellschaftlich legitim ist, soll am besten auch religiös legitimiert werden. Was fehlt, ist eine ausreichende Toleranz gegenüber anderen Religionen und ihrer traditionellen Ausübung. Mangelt es daran, gelingt auch keine Integration.
Bestärkt wird dieser Umstand durch die unterschiedliche Bedeutung von Religion im historisch-kulturellen Kontext, die stark in die Gegenwart einwirkt. Im Westen stellt die Religion schon lange keinen Lebensinhalt mehr da, sie füllt eher eine spirituelle Nische. Der Sinn wird dabei oftmals selber geschaffen. Der Glauben an die traditionellen Konfessionen des Christentums nimmt ab, Famillienkonzepte ändern sich - damit auch die Werte. Das sollte aber nicht so weit gehen, dass man aus einer eurozentrischen Sichtweise heraus versucht, muslimische Gemeinschaften nach belieben umzuformen oder Assimilierungsprojekte gegen sie zu starten. Die Ateş-Gemeinde wird genau dafür benutzt. Doch viel erreichen wird man dadurch nicht, nur die gesellschaftliche Spaltung, die wird größer.
Burak Altun hat Neuere und Neueste Geschichte, Politikwissenschaft und Islamwissenschaft an der WWU Münster studiert. Aktuell arbeitet er als freier Journalist für Daily Sabah und studiert Wissenschaftsphilosophie.