Ernüchterung statt Euphorie: Irakische Kurden fühlen sich im Stich gelassen

AFP
KIRKUK, Irak
Veröffentlicht 20.10.2017 00:00
Aktualisiert 20.10.2017 10:37
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Bei den Kurden im Nordirak herrscht Katerstimmung, nachdem die irakische Zentralregierung ihnen in nur zwei Tagen Kirkuk und die umliegenden Ölfelder abgenommen hat. Nur drei Wochen nach dem Referendum über die Unabhängigkeit ist die Euphorie der Ernüchterung gewichen. Viele Kurden fühlen sich von ihrer Führung getäuscht, nachdem sie so kurz nach dem Votum für einen eigenen Staat kampflos vor den irakischen Regierungstruppen das Feld geräumt hat.

"Jene, die uns von Unabhängigkeit haben träumen lassen, haben uns im Stich gelassen", sagt der 41-jährige Omar Mahmud in Kirkuk. Viele seiner Nachbarn im kurdischen Viertel Rhimaua seien aus Angst geflohen. Die Kommandeure, welche die kurdischen Peschmerga-Truppen angewiesen hätten, sich zurückzuziehen, sollten "nicht nur abgesetzt, sondern vor Gericht gebracht werden", sagte Mahmud.

In nur zwei Tagen gelang es den Regierungstruppen praktisch kampflos, die meisten Gebiete einzunehmen, welche die Peschmerga seit 2003 unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Sie sind damit nun auf die ursprünglichen Gebiete der Autonomieregion zurückgeworfen. Besonders bitter ist für sie der Verlust der Ölquellen bei Kirkuk, die für rund die Hälfte des Haushalts der Kurdenregion aufkamen.

Ein Grund für das Debakel waren die Rivalitäten zwischen den beiden großen Parteien. Die PUK, die den Bereich südlich von Kirkuk kontrollierte, hatte Kurdenpräsident Massud Barsani vergeblich vor dem Referendum gewarnt und fühlte sich angesichts der Armeeoffensive auf Kirkuk von Barsanis DPK im Stich gelassen. Ohne Verstärkung aus Erbil blieb vielen PUK-Kommandeuren nur der Rückzug.

An den Laternen in Kirkuk hängen zwar noch kurdische Fahnen, doch die Plakate von Kurdenpräsident Barsani liegen zerrissen am Boden. Auch die Aufrufe zum Referendum vom 25. September, das der örtliche Gouverneur trotz aller Proteste auch in Kirkuk organisiert hatte, wurden abgerissen. Stattdessen weht auf der Zitadelle wieder die irakische Flagge - zur Freude vieler Araber und Turkmenen.

Kirkuk sei nicht kurdisch, sondern "irakisch-turkmenisch", sagt der 23-jährige Turkmene Omar Nadschat, der auf dem Markt ein Stoffgeschäft betreibt. Zum Beweis verweist er auf die Zitadelle, die von den Osmanen errichtet wurde. Seit der Absetzung des kurdischen Gouverneurs, der das Referendum zugelassen hatte, und der Rückkehr der irakischen Armee fühle er sich wieder in "Sicherheit", sagt der junge Mann.

In Kirkuk sind rund zwei Drittel der 800.000 Einwohner Kurden, 25 Prozent Araber und zehn Prozent Turkmenen. Der Gemüsehändler Abu Hussein will an die friedliche Koexistenz der Volksgruppen glauben. "Wir verstehen es zusammenzuleben", sagt der 47-jährige Turkmene. Die Einwohner von Kirkuk hätten da jahrzehntelange Erfahrung, nur die Politiker seien das Problem.

In der Kurden-Hauptstadt Erbil herrscht dieser Tage hingegen Ernüchterung. Noch vor drei Wochen feierte die Stadt das Votum für die Unabhängigkeit, doch heute sind die Plätze und Märkte leer. Für den 31-jährigen Sirwan Nadschem war der Verlust von Kirkuk "völlig unerwartet". Der Inhaber eines Papierwarenladen sieht die Kurden von den Nachbarn verraten, die schon immer ihr Streben nach einem eigenen kurdischen Staat sabotiert hätten.

Schaker al-Kaki in der multiethnischen Stadt Chanakin an der iranischen Grenze gibt dagegen Kurdenpräsident Barsani die Schuld an der Krise. Es sei ein Fehler gewesen, das Referendum trotz aller Warnungen von Bagdad und den Nachbarn durchzuziehen. Barsani habe damit den schwelenden Konflikt mit der Zentralregierung eskalieren lassen, "ohne an die Folgen zu denken", beklagt al-Kaki.

Auch der 29-jährige Karouch Omar in Suleimanija sieht die Schuld bei der kurdischen Führung, die nur an ihre eigenen Interessen denke. Sie sei gewarnt worden, doch sehenden Auges in die "Katastrophe" gelaufen, sagt der junge Lehrer.

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