Bei dem trilateralen Gipfel in Ankara haben die Türkei, Russland und der Iran die Bedeutung einer politischen Lösung im Syrien-Konflikt hervorgehoben. Dafür soll der geplante Verfassungsausschuss bald seine Arbeit aufnehmen. Als größte Hindernis für ein vereintes Syrien wurden die verschiedenen Terrorgruppen aufgeführt, die im Norden des Landes aktiv sind – darunter auch die syrischen Ableger der PKK sowie die Tahrir al-Scham-Milizen (HTS).
Verfassungsausschuss als Grundstein für politische Lösung
Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin und seinem iranischen Kollegen Hassan Rohani, die Gespräche seien positiv verlaufen. Alle drei Staatschefs zeigten in Bezug auf die territoriale Integrität Syriens „dieselbe Sensibilität". Man könne daher „umgehend" mit der Errichtung eines Verfassungsausschusses beginnen. Es wäre aber „nicht richtig" ein Datum zu nennen. Auch Rohani sagte, er hoffe, dass die Debatte über die neue Verfassung schon bald beginnen könne. „Das ist ein langwieriger Prozess, da die Interessen aller Syrer realisiert werden müssen", sagte er.
Der Ausschuss zur Ausarbeitung einer Verfassung war bereits 2018 vereinbart worden. Die Gespräche über die Bildung hatten sich zuletzt in die Länge gezogen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Ende August beim G7-Gipfel in Biarritz jedoch gesagt, die Bemühungen um die Bildung eines Verfassungsausschusses gingen voran.
Bedrohung durch PKK-Ableger in Nordsyrien
Eine wesentliches Problem für die Umsetzung des politischen Friedensprozesses seien die verschiedenen Terrorgruppierungen im Norden Syriens, sagte Erdoğan und verwies auf die Bedrohung durch die sogenannten „Volksschutzeinheiten" (YPG), die den syrischen Arm der Terrororganisation PKK repräsentieren. Dadurch sei nicht nur die Zukunft Syriens gefährdet, sondern auch die Türkei als Nachbarland einer direkten Bedrohung ausgesetzt. „Solange die PKK (...) in diesem Land präsent ist, kann weder Syrien noch unsere Region Frieden finden." Eines der Hauptziele der Türkei bestehe darin, einen „Friedenskorridor" entlang der Grenze in Nordsyrien zu errichten.
Die PKK wird von der Türkei, den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft. Die marxistisch-leninistisch orientierte Organisation führt seit ihrer Gründung im Jahr 1978 einen bewaffneten Kampf gegen befeindete Gruppen und den türkischen Staat. Hauptziel ist eine Abspaltung von der Türkei und die Errichtung einer ideologischen Selbstverwaltung auf türkischem Hoheitsgebiet. Dafür setzt die PKK hauptsächlich terroristische Mittel ein. Ihre internationalen Ableger verfolgen ähnliche Ziele in ihren Ursprungsländern.
Was die US-Unterstützung für die YPG im Anti-Daesh-Kampf angehe, seien sich Ankara, Moskau und Teheran darüber einig, dass dies „inakzeptabel" sei, betonte der türkische Präsident. Es sei falsch, terroristische Gruppierungen für eigene Interessen zu benutzen.
Astana-Prozess „einzige Initiative"
Erdoğan lobte zugleich den Astana-Prozess. Dieser sei ein „einzigartiger Versuch" und die „einzige Initiative", um eine wirksame und konkrete Lösung für Syrien zu finden. Der trilaterale Gipfel in Ankara habe dem Prozess neuen Antrieb verliehen. Erdoğan betone jedoch, dass alle Seiten „mehr Verantwortung" übernehmen müssten, um den Frieden in Syrien zu gewährleisten. Putin stimmte dem zu und bezeichnete das Astana-Format als das „wirksamste Instrument", um den Konflikt in Syrien zu lösen. „Stabilität ist erreicht worden, das Ausmaß der Gewalt in Syrien ist durch unsere gemeinsamen Anstrengungen vermindert."
Die Türkei unterstützt in Syrien die gemäßigte Opposition. Russland und der Iran dagegen stehen auf der Seite von Machthaber Baschar al-Assad. Im sogenannten Astana-Prozess verhandeln die drei Staaten seit 2017 um eine Lösung im Bürgerkriegsland.
Neuer Flüchtlingsstrom aus Idlib?
Putin zeigte sich „zuversichtlich" hinsichtlich einer endgültigen Lösung in der Syrien-Krise. Man müsse aber zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um die terroristische Bedrohung in Idlib vollständig zu beseitigen. Gleichzeitig sollten alle Beteiligten alles tun, damit die Bevölkerung keinen Schaden nehme, sagte der Kremlchef. Ruhani sagte: „Leider wurde die Einigungen über Idlib nicht umgesetzt und wir hatten mehr Terrorismus danach." Beide bezogen sich auf die HTS-Milizen, gegen die Russland und das Regime von Baschar Al-Assad ankämpfen.
Geht die Offensive in Idlib weiter, könnten die Menschen versuchen, in die Türkei zu kommen - und von dort in die EU. Die Türkei hat bereits mehr als 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Erdoğan sagte, die Türkei könne einer „Tragödie an ihrer Grenze" nicht zusehen. „So eine schlimme Entwicklung wird sich nicht nur auf unser Land, sondern auch auf ganz Europa auswirken." Die Türkei setze sich bereits seit Beginn des Bürgerkrieges für die Menschen in Not ein. Das Land habe hierbei auch vor Kompromissen nicht zurückgeschreckt.
Die zwei Anti-Terror-Einsätze in Nordsyrien hätten außerdem eine Rückkehr von rund 360.000 syrischen Flüchtlingen ermöglicht. Die Türkei habe dort in einigen Regionen sichere Orte schaffen können.
Die Türkei hatte 2016 zusammen mit der Freien Syrischen Armee die Operation „Schutzschild Euphrat" durchgeführt. Sie richtete sich gegen die YPG und gegen Daesh. Im Rahmen des Einsatzes wurden die Gebiete um Dscharabulus und Al-Bab befreit. Im Jahr 2018 folgte dann die „Operation Olivenzweig" gegen die Besetzung der nordwestlichen Provinz Afrin durch die YPG.
„Diese Menschen leben jetzt friedlich in ihrem eignen Land, schicken ihre Kinder zur Schule und profitieren von den angebotenen Gesundheitsdiensten." Es sei aber auch klar, „dass die Türkei die Flüchtlingslast nicht alleine tragen kann". Das Land könne keinen weiteren Zustrom von Flüchtlingen alleine stemmen.
Nach Angaben des Innenministeriums lag die Zahl der Geflüchteten in der Türkei 2017 bei 4,3 Millionen und stieg zuletzt auf 4,9 Millionen an. Davon stammen rund 3,6 Millionen aus Syrien. Seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 wurden mehr als 415.00 Syrer in der Türkei geboren.
Ankara hat bereits rund 40 Milliarden US-Dollar aus dem eigenen Haushalt für die Versorgung von Flüchtlingen aufgebracht. Die EU hatte der Türkei zuletzt sechs Milliarden US-Dollar zugesichert, wovon bisher aber nur ein Teil überwiesen worden ist.