Von der Leyen kündigt Rücktritt an

DPA
BERLIN
Veröffentlicht 16.07.2019 09:35
AP

Ursula von der Leyen geht aufs Ganze: Schon vor der Abstimmung über ihre Berufung zur EU-Kommissionspräsidentin hat die CDU-Politikerin am Montag ihren Rücktritt als Bundesverteidigungsministerin angekündigt.

Kanzlerin Angela Merkel wertete dies als Zeichen der Entschlossenheit. Ob von der Leyen am Dienstag im EU-Parlament in Straßburg gewählt wird, ist aber nicht sicher. Am Montag warb die Kandidatin mit neuen Zusagen um Stimmen von Liberalen und Sozialdemokraten, die sie für eine Mehrheit braucht. Von den beiden Fraktionen gab es auch am Montag zunächst keine klare Ansage. Die FDP-Politikerin Nicola Beer signalisierte ihre persönliche Unterstützung und sagte von der Leyen auch eine Mehrheit voraus. Zur Haltung ihrer Fraktion Renew Europe erklärte Beer nur: «RE will Teil der positiv gestaltenden Mehrheit sein.»

Von der Leyen machte ihren Verzicht auf das Amt der Verteidigungsministerin am Montagnachmittag mit einem Tweet unter dem Titel «Meine Entscheidung für Europa» bekannt: «Ich möchte morgen das Vertrauen des Europäischen Parlaments gewinnen. Unabhängig vom Ausgang werde ich am Mittwoch als Verteidigungsministerin zurücktreten, um meine volle Kraft in den Dienst von Europa zu stellen.»

Für ihre Jahre als Verteidigungsministerin empfinde sie tiefe Dankbarkeit, fügte von der Leyen hinzu. Die CDU-Politikerin hatte das Amt seit 2013 inne, vorher war sie bereits seit 2005 Bundesministerin in den diversen Kabinetten unter Merkel. Wer ihr Amt übernimmt, ist noch offen. Es soll in den nächsten Tagen geklärt werden.

Merkel sagte in Görlitz, die 60-Jährige mache damit deutlich, dass sie sich «für eine neue Etappe ihres Lebens entschieden hat, dass sie mit ganzer Kraft natürlich eintreten möchte dafür, dass sie Kommissionspräsidentin wird». Und die Kanzlerin fügte hinzu: «Sie für sich hat entschieden, dass sie das mit voller Verve auch tun will. Das freut mich. So kenne ich sie auch. Und dann werden wir alles Weitere sehen.»

Der Brandenburger CDU-Chef Ingo Senftleben fordert bei der bevorstehenden Veränderung im Bundeskabinett einen Posten für einen ostdeutschen Politiker. «Jetzt, wo es Bewegung am Kabinettstisch gibt, muss der Osten berücksichtigt werden», sagte Senftleben den Partner-Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft. Dies wäre «ein wichtiges Signal für unsere Region».

Dass von der Leyen auf einen Rückfahrschein nach Berlin verzichtet, war Teil ihres Werbens um Rückhalt bei den vielfach skeptischen Abgeordneten des Europaparlaments. Von aktuell 747 Abgeordneten muss sie bei der Abstimmung am Dienstagabend voraussichtlich mindestens 374 hinter sich bringen.

Eine echte Zusage hat von der Leyen bisher nur von der eigenen Parteienfamilie Europäische Volkspartei mit 182 Sitzen. Auch EVP-Fraktionschef Manfred Weber äußerte die Erwartung, dass es insgesamt eine «klare Mehrheit» für von der Leyen geben werde.

Dafür braucht sie aber auch viele Stimmen aus der Gruppe der 153 Sozialdemokraten und der Fraktion mit 108 Liberalen. Die Kandidatin antwortete auf Forderungskataloge beider Gruppen am Montag mit zwei Briefen, die etliche neue politische Zusagen enthielten - unter anderem beim Klimaschutz und bei der Stärkung der Rechte des Parlaments.

Zum Beispiel will sie bis 2021 einen Plan vorlegen, wie die EU-Klimagase bis 2030 um 55 Prozent unter den Wert von 1990 gedrückt werden können. Bisher ist das entsprechende Ziel nur 40 Prozent. Darüber hinaus sicherte von der Leyen zu, für eine stärkere Rolle des Parlaments bei der EU-Gesetzgebung einzutreten. Stimme eine Mehrheit im Parlament für die Forderung nach einem Gesetzentwurf, werde die EU-Kommission mit einem Rechtsakt antworten, sagte die Kandidatin zu.

Mit Blick auf sozialdemokratische Forderungen versprach die CDU-Politikerin, die rechtlichen Voraussetzungen für eine EU-weite Durchsetzung fairer Mindestlöhne zu schaffen. Bei der Forderung der Liberalen nach einem verbindlichen Mechanismus zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit einschließlich Strafen blieb die Kandidatin allerdings recht vage. Sie sprach sich für einen «zusätzlichen Rechtsstaatsmechanismus» aus, ließ aber offen, wie er aussieht.

Die Grünen, die schon vorige Woche ein Nein bei der Wahl angekündigt hatten, ließen sich von den neuen Zusagen nicht umstimmen. «Damit sie eine Chance auf die Unterstützung einer pro-europäischen Mehrheit gewinnt, braucht es glaubhafte und stärkere Zusagen als die, die bisher auf dem Tisch liegen», erklärte der Abgeordnete Sven Giegold der Deutschen Presse-Agentur. Auch die Linke hatte bereits klargemacht, sie werde nicht für von der Leyen stimmen.

Von der Leyen war vor zwei Wochen überraschend von den EU-Staats- und Regierungschefs für den Spitzenposten nominiert worden, der in etwa einem Brüsseler EU-Regierungschef entspricht. Als Kommissionschefin würde sie die politische Linie und die Prioritäten der EU mitbestimmen, und sie würde Chefin von mehr als 30.000 Mitarbeitern.

Viele Abgeordnete sind tief verärgert, dass nicht einer der Spitzenkandidaten zur Europawahl den Posten bekommen soll. Zu den schärfsten Kritikern der Politikerin gehören die deutschen Sozialdemokraten. In der großen Koalition in Berlin gibt es deshalb Spannungen. Politiker aus der Union warnen für den Fall eines Scheiterns vor Handlungsunfähigkeit der EU und einer Belastung des Regierungsbündnisses, sollten ausgerechnet die Nein-Stimmen der SPD-Abgeordneten den Ausschlag für ein Scheitern geben.

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