Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich besorgt gezeigt über wachsenden Nationalismus und verteidigt den umstrittenen UN-Migrationspakt auch gegen Kritik in ihrer eigenen Partei.
«Dieser Pakt für Migration, genauso wie der Pakt für Flüchtlinge, ist der richtige Antwortversuch, (...) globale Probleme auch international und miteinander zu lösen», sagte die scheidende CDU-Vorsitzende am Mittwoch in der Generaldebatte zum Bundeshaushalt. Die, die glauben, sie könnten alles alleine lösen, würden in Wahrheit nur an sich denken, sagte Merkel. «Das ist Nationalismus in reinster Form.»
Es war ihre erste Rede seit der Erklärung, beim CDU-Bundesparteitag im Dezember in Hamburg nach 18 Jahren nicht erneut für den Vorsitz zu kandidieren. Einer der Nachfolgekandidaten, Gesundheitsminister Jens Spahn, will, dass der Parteitag über den UN-Migrationspakt noch einmal debattiert. Der Migrationspakt der Vereinten Nationen soll bei einem Gipfel am 10. und 11. Dezember in Marokko besiegelt werden. Die UN wollen erstmals Grundsätze für den Umgang mit Migranten festlegen.
Zudem ist ein weiterer Pakt zum Thema Flüchtlinge geplant. Merkel sagte, dass der Pakt in «nationalem Interesse» sei, weil er die Bedingungen auf der Welt für Flucht und Arbeitsmigration verbessern könne. «Wir wollen, wenn in Katar Stadien gebaut werden, (...) dass die dort arbeitenden Bauarbeiter vernünftig behandelt werden, dass sie nicht ausgebeutet werden, dass es nicht Kinderarbeit gibt.»
Sie betonte aber auch, dass der Pakt nicht rechtlich bindend sei und nationale Gesetzgebung nicht berühre. «Es wird übrigens nichts unterzeichnet, nichts unterschrieben, es ist nicht rechtlich bindend.» Merkel sagte, man habe seit 2016 über den Pakt gesprochen. Die Flüchtlingskrise habe zudem gezeigt «wie wichtig es ist, Flucht aber auch Migration im Zusammenhang des internationalen Kontextes zu lösen und nicht zu glauben, irgendein Land könnte das alleine».
Generell äußerte sie sich in einer engagierten Rede besorgt über den Zustand der Welt, wo es wegen vieler Einzelinteressen und einer Rückkehr des Nationalismus zunehmend schwierig wird, globale Abkommen zu schließen. Die Welt des Kalten Krieges war schrecklich, «aber sie war übersichtlich». Heute gebe es verschiedene Zentren, von denen nicht klar ist, wie sie miteinander interagieren werden. Es komme auf jedes Land an, ein starkes Europa sei für Deutschland entscheidend.
Beim Brexit-Vertrag mit Großbritannien setzt Merkel trotz schwieriger Kompromisse auf eine Zustimmung der 27 EU-Staaten. «Wir stimmen diesem Austrittvertrag zu», sagte Merkel. «Wir haben noch einen Vorbehalt Spaniens», sagte sie mit Hinweis auf die Gibraltar-Frage. Sie hoffe, dass es bis zum Brexit-Sondergipfel am kommenden Sonntag eine Lösung gebe. Das Gebiet am Südzipfel der Iberischen Halbinsel steht seit 1713 unter britischer Souveränität, wird aber von Spanien beansprucht. Madrid fordert eine Klarstellung zu künftigen Verhandlungen über den Status Gibraltars.
SPD-Chefin Andrea Nahles sagte, der Ausstieg Großbritanniens aus der EU sei eine Zäsur. «Wir müssen mehr Zusammenarbeit wagen.»
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel nutzte die Debatte, um sich gegen Angriffe wegen dubioser Spenden aus dem Ausland zu verteidigen. «Moralische Vorhaltungen müssen wir uns von Ihnen überhaupt nicht machen lassen», sagte sie im Bundestag. «Kommen sie raus aus ihren Glashäusern und hören Sie auf mit Steinen zu werfen, die sie nachher selber treffen». Sie betonte, das Geld sei zurückgezahlt worden.
«Es gab keine Bargeldkoffer, die hin- und hergetragen wurden und deren Inhalt in Schubladen verschwunden ist, und an deren Verbleib sich niemand mehr erinnern kann oder will», sagte sie mit Blick auf die CDU-Spendenaffäre. «Sie wollen über Parteispenden reden. Also gut, also reden wir auch über Schwarze Kassen und das bis heute nicht aufgeklärte Bimbes-System von Helmut Kohl.» Auch die SPD, Grüne und Linke attackierte sie in ihrer Selbstverteidigungsrede.
Die Staatsanwaltschaft Konstanz ermittelt gegen Weidel wegen des Anfangsverdachts eines Verstoßes gegen das Parteiengesetz. Die AfD hat bestätigt, dass 2017 rund 130 000 Euro von einer Schweizer Pharmafirma an Weidels AfD-Kreisverband Bodensee überwiesen wurden. Zudem gab es eine weitere hohe Spende aus den Niederlanden. Weidel betonte mit Blick auf die eigene Affäre: «Ja, wir haben Fehler gemacht. Wir haben es erkannt, reagiert und zurückgezahlt.»
Merkel sagte mit Blick auf Weidel: «Das Schöne an freiheitlichen Debatten ist, dass jeder über das spricht, was er für das Land für wichtig hält.» Um den Haushalt ging es in vielen Reden eher am Rande.
Bei Gesamtausgaben von 356,4 Milliarden Euro sind für den Etat des Kanzleramts 3,24 Milliarden Euro für 2019 eingeplant. Am Freitag soll der Bundeshaushalt, der zum sechsten Mal in Folge ohne neue Schulden auskommen soll, von den Abgeordneten endgültig beschlossen werden. Wegen der sprudelnden Steuereinnahmen gibt es massive Kritik, dass Union und SPD die Bürger nicht stärker entlasten durch Steuersenkungen oder die Abschaffung des Solidaritätsbeitrags.
Trotz laufender Tilgung liegt die Schuldenlast immer noch bei rund zwei Billionen Euro - pro Kopf rund 26 520 Euro. Neben Entlastungen bei Krankenkassenbeiträgen und Rentenverbesserungen, stehen vor allem Familien 2019 im Fokus: Es wird ein Entlastungspaket von jährlich 9,8 Milliarden Euro geschnürt. Bei den Sicherheitsbehörden und beim Zoll sind tausende neue Stellen geplant.
FDP-Chef Christian Lindner warf der Bundesregierung unsolide Haushaltspolitik vor. «Baukindergeld, Mütterrente, Brückenteilzeit und, und, und – alles überwiegend konsumtive Ausgaben», sagte Lindner in der Bundestagsdebatte. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter warf der großen Koalition Selbstbeschäftigung vor. Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht meinte, die Koalition tue zu wenig für ärmere Schichten, das Klima im Land sei rauer, kälter und aggressiver geworden. An vielen gehe das Wachstum vorbei.