Bei den „Landtagswahlen 2017" in Nordrhein-Westfalen steht viel auf dem Spiel: Bekanntlich gilt die Wahl in NRW am 14. Mai als wichtiger Gradmesser für die Bundestagswahl im September. Kehren „die Linken" in den Landtag zurück? Schafft es die „AfD" auch in den NRW-Landtag? Haben die türkischstämmigen Wähler einen favorisierten Kandidaten? Welche Chancen haben die „BIG-Partei" oder die „ADD"?
Diese und weitere wichtige Themen diskutierten wir mit dem Vizevorsitzenden der „Union Europäisch-Türkischer Demokraten" (UETD), Fatih Zingal.
Daily Sabah: Erst vor knapp einem Monat wurde ein wichtiger Volksentscheid in der Türkei durchgeführt. Nicht nur die Wahlberechtigten in der Türkei, sondern auch die fast 1,5 Millionen türkischstämmigen Bürger in Deutschland fieberten monatelang vor und nach dem Referendum mit. Besonders in Nordrhein-Westfalen war die Stimmung sehr hochgekocht. Abgesagte Auftritte türkischer Politiker und hitzige TV-Debatten wurden zum Alltag. Nun werden am 14. Mai in NRW, im Bundesland mit den meisten Einwohnern (17.865,52 Bürger |stand-2015), die Landtagswahlen stattfinden. Sehen Sie eine vergleichbar aufgeheizte Atmosphäre wie in der Referendumszeit? Wie ist die aktuelle Wahlstimmung?
Fatih Zingal: Es ist ja jetzt etwas mehr als eine Woche hin bis zu den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Man muss sich jedenfalls mit der Tatsache beschäftigen, dass sich laut Meinungsforschungsinstituten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den großen Volksparteien abzeichnet. Vor allen Dingen ist es interessant und auffällig, dass laut den Meinungsforschungsinstituten, sich die „Grünen" derzeit bei ungefähr sechs Prozent bewegen und das ist insbesondere vor dem Hintergrund sehr interessant, dass sie bei den letzten Wahlen noch 11,3 Prozent geholt haben. Wenn sich dieses Ergebnis bewahrheiten würde, wäre es natürlich ein interessanter Absturz, davor haben die „Grünen" natürlich Angst. Mag man den Gerüchten Glauben schenken, gibt es sogar Briefe der Parteien, wo drin steht: „Die Lage ist ernst". Ernst ist auch die Lage für die „Linken"; die laut Meinungsforschungsinstituten bei rund fünf Prozent kreisen. Das heißt, die Frage steht im Raum, ob sie den Einzug in den Landtag überhaupt schaffen. Was natürlich auch traurig ist: Die „AfD" bewegt sich derzeit bei rund zehn Prozent. Es wird auf jeden Fall eine interessante Wahl.
D.S.: Laut aktuellen Umfragen führt die „Sozialdemokratische Partei Deutschlands" (SPD) mit knappem Abstand, gefolgt von der „Christlich Demokratischen Union" (CDU). Glauben Sie, dass diese Prognosen auch das Endergebnis der Wahlen widerspiegeln werden?
F.Z.: Das ist sehr schwer abzusehen. Letztendlich entscheiden die Wählerinnen und Wähler, nicht die Meinungsforschungsinstitute. Ich prognostiziere tatsächlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Ich glaube schon, dass insbesondere die „Grünen" einen herben Stimmenverlust erleiden werden. Nicht zuletzt ist das der Tatsache geschuldet, dass die „Grünen" in den letzten ein bis zwei Jahren leider lediglich durch ihre „Türkeipolitik" aufgefallen sind. Wenn Sie sich einfach mal die nahe Historie „der Grünen" anschauen, wurde eigentlich immer nur versucht, durch hochemotionale Themen, die die Türkei betreffen, die den Staatspräsidenten Erdoğan betreffen, Politik zu machen. Das heißt: In der Wahrnehmung der Menschen haben die „Grünen" vielmehr türkische als deutsche Politik betrieben und ich glaube, die Wählerinnen und Wähler werden das auch quittieren.
D.S.: Bei den Wahlen im Jahr 2012 lag die Wahlbeteiligung bei 59,6 Prozent. Wie hoch glauben Sie, wird die Beteiligung am Tag der Abstimmung ausfallen?
F.Z.: Ich befürchte, das Interesse an den Landtagswahlen wird dieses Mal ähnlich niedrig sein . Vielleicht werden wir eine etwas stärkere Wahlbeteiligung erkennen können. Insbesondere, so glaube ich nämlich, dass diese Erhöhung durch die Beteiligung der Migrantinnen und Migranten kommen wird. In Nordrhein-Westfalen Leben knapp 18 Million Menschen, davon haben circa 25 Prozent einen Migrationshintergrund. Wenn man sich anschaut wie viele davon wahlberechtigt sind, dann wäre man bei etwa zwölf Prozent. Das ist in der Gesamtbetrachtung etwa drei Prozent höher als der Bundesdurchschnitt. Ich vermute auch, dass jetzt eine wesentlich stärkere Mobilisierung dieser Menschen stattfinden wird, besonders was die türkischstämmigen Wähler anbelangt, jedenfalls kann man das vermuten, wenn man sich mal die momentane Lage vor Augen führt. Es gibt circa eine Millionen „türkeistämmige" Menschen, wovon zahlreiche wahlberechtigt sind. Davon, so glaube ich, werden viele zur Wahlurne gehen. Daher erhoffe ich mir eine etwas stärkere Wahlbeteiligung als zuvor. Die aktuellen Ergebnisse der Meinungsumfragen lassen die Spekulationen offen, ob der Landtagseinzug der „Grünen" und der „Linken" überhaupt gelingt. Das wird dazu führen, dass die türkeistämmigen Wähler das Zünglein an der Waage sein werden. Eines ist klar: Das Interesse am türkischen Referendum und die Wahlbeteiligung war mit knapp 50 Prozent sehr hoch, auch wenn versucht wird, das Ergebnis ein bisschen schlecht zu reden. Es war im internationalen Vergleich die höchste Wahlbeteiligung von Menschen in der Diaspora überhaupt, insbesondere im Ruhrgebiet, wenn sie dort die Ergebnisse betrachten, wo dreiviertel der Wähler mit „Ja" gestimmt haben. Dadurch wird auch klar, dass die Menschen, die in diesem Prozess sich mehr oder weniger als „Spielball" der Politiker gefühlt haben, dies auch an der Wahlurne quittieren werden. Sie werden nicht für die „Linken" stimmen und sie werden auch nicht für die „Grünen" stimmen. Das kann man wahrscheinlich schon mal prophezeien. Denn diese Parteien haben nichts anderes gemacht, als mit den Emotionen der Menschen zu spielen, um sich so selbst zu profilieren. Es ist wirklich interessant zu sehen, dass die Parteien, die nie am rechten Rand gefischt haben, jetzt Angst haben, die Wählerinnen und Wähler an die „AfD" zu verlieren. So fangen diese Parteien auf einmal an, die Rhetorik dieser Leute mit ihren populistischen Elementen und Sprüchen zu kopieren. Die Wählerinnen und Wähler merken das und diejenigen die populistisch wählen möchten werden nicht die Kopie wählen, sondern das Original. Sie werden diesen Parteien, die in Wirklichkeit, die innerdeutsche Politik stark vernachlässigt haben, einen Denkzettel verpassen.
D.S.: Wie viele türkischstämmige Wahlberechtigte befinden sich in NRW? Kennen Sie die ungefähre Zahl?
F.Z.: Da gibt es jetzt natürlich keine gefestigten Zahlen, weil das immer abgeleitet wird aus Zahlen des statistischen Bundesamtes. Wenn man davon ausgeht, dass wir in Gesamtdeutschland 1,1 bis 1,2 Millionen wahlberechtigte türkischstämmige Deutsche haben, so muss man sagen, dass circa die Hälfte davon in Nordrhein-Westfalen beheimatet ist.
D.S.: Die deutschen Parteien, allen voran die „Grünen" und die „Linken", beteiligten sich intensiv am türkischen Wahlkampf und warben für das „Nein"-Lager. Empfinden die türkischen „Ja"-Wähler aufgrund dessen, Hass oder eine Feindschaft gegenüber diesen politischen Parteien? Was meinen Sie?
F.Z.: Ja, die Deutschtürken im Allgemeinen, haben den Wahlkampf, insbesondere der „Linken" und der „Grünen" wirklich mit Argusaugen beobachtet. Was natürlich im Gedächtnis geblieben ist, sind Forderungen, die es auch von den „Linken" gab, nämlich, dass die Terrororganisation PKK von der Terrorliste gestrichen werden soll. Das hat sich im Kollektivgedächtnis dieser Menschen eingebrannt. Es wird als Verhöhnung des Leids der Menschen, die durch die Terroranschläge der PKK umgekommen sind, betrachtet. Genauso auch was das Leid der Hinterbliebenen anbelangt. Was auch die Allermeisten verstanden haben ist die Tatsache, dass sich Beispielsweise der Parteichef „der Grünen" Cem Özdemir nur noch durch seine „Türkeipolitik" zu profilieren versucht. In der öffentlichen Wahrnehmung hat er scheinbar kein anderes Thema mehr. Wenn sie sich einfach mal vor Augen führen, mit welchen Themen er in die Öffentlichkeit gelangt ist, so spielten zu 90 Prozent „türkeipolitische" Themen eine Rolle. „Ur-Grüne" Themen, wie Umweltpolitik, sind überhaupt nicht thematisiert worden. Ich denke das werden auch „Grüne" Stammwähler erkennen und an der Wahlurne quittieren.
D.S.: Wir wissen, dass sich in der „Union Europäisch-Türkischer Demokraten" (UETD) auch sehr viele Türken mit deutschem Pass befinden. Zu welcher Partei tendieren ihre Mitglieder bei den Wahlen am 14. Mai? Wird darüber untereinander gesprochen?
F.Z.: Wir machen keinen Wahlaufruf in Richtung einer Partei. Wir sagen, dass grundsätzlich jede demokratische Partei wählbar ist. Wir sprechen uns aber ganz klar dafür aus, populistische und rechte Parteien, wie die „AfD" nicht zu wählen. Ähnliches gilt auch für die „Linke". Eine Partei, die sich offenkundig dafür einsetzt, die PKK von der Terrorliste zu streichen, ist für die allermeisten Deutschtürken, die ja mehrheitlich dem bürgerlich-liberalen Lager angehören, schlichtweg nicht wählbar. Wenn solche Parteien Auftritte von Personen wie Tuğba Hezer fördern und organisieren, so ist das ein Umstand, der absolut nicht zu tolerieren ist. Hier muss man sich klar positionieren und sagen: „Nein, hier gibt es keine Unterstützung!". Exakt das gleiche gilt auch für die „Grünen". Wenn der Parteichef der „Grünen" Wahlpropaganda für die „HDP" in der Türkei macht, bei öffentlichen Kundgebungen PKK- und Öcalan-Flaggen zu sehen sind und wenn der Chef der „Grünen" dort trotzdem eine Rede hält und nicht die Bühne verlässt, sind diese Parteien für uns nicht wählbar. Wir sagen: Ihr dürft auf den Rücken der Deutschtürken keine populistische Politik machen! Hier unterscheidet Ihr euch in keinster Weise von populistischen Parteien! Aus unserer Sicht sind solche Parteien schlichtweg nicht wählbar. Letztendlich muss aber jeder für sich selbst entscheiden, für welche Partei er stimmen wird. Das was wir allerdings durchaus erkennen, ist das steigende Interesse an den Wahlen. Hier findet eine Mobilisierung statt. Die Wählerinnen und Wähler möchten wählen und möchten ihrer Meinung Ausdruck verleihen. Wir können einen stärkeren Zulauf zu den so genannten „Migranten Parteien" wie die „BIG-Partei" oder die „ADD" beobachten. Wir glauben eine stärkere Solidarisierung mit diesen Parteien erkennen zu können.
Man muss auch eins konstatieren, Politiker sind meistens nur dann mit den Deutschtürken in Kontakt getreten, wenn Wahlen anstanden. Was ist dann geschehen? Moscheen, türkische Kaffees und Kulturhäuser wurden besucht, wo um die Stimmen der Deutschtürken geworben wurde. Wenn Sie sich die politische Landschaft heute anschauen, so werden diese Menschen, für die man vorher geworben hat, nun dämonisiert. Das ist mit Nichten erträglich. Ich glaube, dass wenn etablierte Parteien sich nicht um diese Bevölkerungsschicht kümmern, sie dauerhaft nicht erfolgreich werden können.
D.S.: Wie sehen die Wahltrends im Vergleich zu den vergangenen Wahlen Ihrer Meinung nach aus? Spüren Sie hier in NRW auch einen Rechtsruck, so wie man es besonders am Beispiel Sachsens erlebt hat?
F.Z.: Man muss für Gesamtdeutschland konstatieren, dass es leider einen Zulauf in Richtung der populistischen Parteien gibt. Das ist nicht nur ausschließlich ein deutsches Phänomen, sondern ein gesamteuropäisches Phänomen. Wenn sie sich zum Beispiel Frankreich anschauen, ist dort Le Pen ist in die Stichwahl gekommen. Bei den Wahlen in Österreich wäre fast ein populistischer Bundespräsident gewählt worden. Die Wahl in Holland zeigt ein ähnliches Bild, die rechtspopulistische Partei von Wilders ist dort gestärkt ins Parlament eingezogen. All das sind Umstände die wir natürlich mit Sorge betrachten. Wenn sie das jetzt auf den deutschen Raum beschränken, so sieht man, dass die „AfD" leider teilweise mit zweistelligen Ergebnissen in Länderparlamente eingezogen ist. Wenn man sich die vorgelegten Ergebnisse der Meinungsforschungsinstitute anschaut, zeichnet sich das gleiche auch für die Landtagswahlen in NRW ab. Populisten haben es einfach, mit anti-europäischen Parolen - mit Parolen, die die Islamophobie bedienen und mit Parolen, die Fremdenfeindlichkeit schüren -Stimmen zu gewinnen. Hier müssen wir uns mit allen zivilen Kräften der deutschen Gesellschaft dagegen stellen.
D.S.: Was denken Sie über die BIG-Partei und über die ADD?
F.Z.: Die „BIG-Partei" gibt es schon seit mehreren Jahren, die „Allianz Deutscher Demokraten" hat sich neu gegründet. Wir konstatieren einen sichtbaren Zulauf zu diesen Parteien. Ich glaube, es spielen mehrere Faktoren eine Rolle, warum diese Parteien einen Aufwind erleben. Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere türkeistämmige Menschen sehen ihre Interessen bei den etablieren Parteien nicht mehr richtig vertreten. Die politische Lücke füllen die „Migranten-Parteien" „BIG" und „ADD" erfolgreich aus. Die Menschen haben das Gefühl, dass diese „Migranten-Parteien" ihre Interessen besser vertreten und vertrauen ihnen. Die etablierten Parteien haben es nicht geschafft diese Menschen innerhalb ihrer Parteistruktur und Organisation einzubinden. Sie fühlen sich ausgegrenzt und ausgeschlossen. Weil diese Menschen jedoch politisch interessiert sind, bringen sie sich bei den „Migranten-Parteien" verstärkt ein.
D.S.: Denken Sie, man wird die Ergebnisse der NRW-Wahl als vorzeitige Prognose für die Bundestagswahlen im September werten können?
F.Z.: Selbstverständlich. Nordrhein-Westfalen ist eines der wichtigsten Bundesländer in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist auch das bevölkerungsreichste Bundesland in Deutschland. Allein vor diesem Hintergrund ist das natürlich ein Gradmesser für die Bundestagswahl im September. Vor allem durch die Tatsache, dass diese Wahl wenige Monate vor den Bundestagswahlen stattfindet, wird das natürlich gewisse Vorzeichen dafür setzen, wie die Entwicklung bei den Bundestagswahlen aussehen wird.. Fast alle Parteien haben Angst ihre Stimmen an die Populisten zu verlieren. Das kann man auch am Beispiel der letzten Verlautbarungen des deutschen Innenministers de Maizière erkennen, der seinen „Punktekatalog" für die deutsche Leitkultur veröffentlicht hat. Das Thema Leitkultur wird immer dann aus dem Hut gezaubert, wenn man scheinbar kein anderes Wahlkampfthema mehr hat, aber mehr Menschen mobilisieren muss. Er sagt zum Beispiel „Wir sind nicht Burka", da fragt man sich natürlich zurecht: Wer sind denn die „Anderen" ? Da muss man natürlich klar sagen, dass sich die Aussage gezielt auf Menschen mit Migrationshintergrund richtet. Es wird ein „Wir/Ihr"-Verhältnis aufgebaut. Das ist weder förderlich für den gesellschaftlichen Prozess, noch für die gesellschaftliche Harmonie. Das ist einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass man Angst hat Stimmen an die „AfD" zu verlieren. Diese Taktik wird aber nicht ziehen und die Wählerinnen und Wähler werden dieses Kalkül selbstverständlich durchschauen.
D.S.: Sie erwähnten gerade eben den steigenden Rechtspopulismus und die Islamophobie. Für wie gefährlich schätzen sie die islamophoben Tendenzen in der Gesellschaft ein? Welche Rolle spielt dabei die aktuelle Politik?
F.Z.: Islamophobie ist ein Phänomen, das wir schon seit mehreren Jahren beobachten. Insbesondere nach den Anschlägen des 11. Septembers, haben wir eine verstärkte Islamophobie zur Kenntnis nehmen müssen. Allerdings muss man konstatieren, dass in den letzten circa zwei Jahren, die Islamophobie weiter gestiegen ist. Die Dinge, die Menschen vielleicht nicht offen ausgesprochen haben, das was hinter verschlossenen Wohnzimmern leise zum Ausdruck gebracht wurde, scheinen nun mehr salonfähig geworden zu sein. Wenn man sich die Debatten um die Flüchtlingskrise anschaut, wird klar, dass man Ängste spürt, dass Menschen mit muslimischen Hintergrund, die das auch öffentlich Leben, wie zum Beispiel Kopftuch tragende Frauen, eine verstärkte Ausgrenzung erleben. Es ist zur Realität in Deutschland geworden, dass nun sogar einer Muslima vor die Füße gespuckt werden kann, wenn sie sich lediglich auf der Straße bewegt. Sie werden beschimpft und beleidigt, das sind Sachen, die uns Sorgen bereiten. Wenn man sich anschaut wie viele Anschläge es in letzter Zeit auf Moscheen gab, von Schmierereien bis hin zum Abladen von Schweineköpfen oder auch Brandanschläge mit Molotowcocktails und Sachbeschädigungen, ist das ein Umstand der uns mit großer Sorge erfüllt. Eine gesamtgesellschaftliche Debatte diesbezüglich findet kaum statt. Wenn überhaupt, werden diese Themen in den Augen der Öffentlichkeit nur als Randnotiz wahrgenommen. Wenn Sie über 1.000 Anschläge im letzten Jahr auf Moscheen und Einrichtungen von Migranten erleben, ist das eine Sache, wo die gesamte Gesellschaft aufschreien und sagen muss „Stopp hier müssen wir etwas tun, es ist ein Trend, der nicht vertretbar ist!" Ich bin Solinger und habe den schrecklichen Brandanschlag in Solingen 1993 als Jugendlicher miterlebt. Ich kann mich noch an die politische Atmosphäre erinnern, die es zu diesen Zeiten gab. Damals gab es auch Themen wie Migration oder Zuwanderung. Ich habe große Sorge, dass wenn diese extrem angeheizte Lage gegen Migranten, Ausländer und Muslime weiterhin so aufrechterhalten wird, bei den Anschlägen, auch bald wieder Personen zu Schaden kommen werden. Gott behüte!
D.S.: Die etablierten deutschen Parteien scheinen nicht genügend Feingefühl zu besitzen, wenn es um die Bedürfnisse und Probleme der muslimischen Migranten geht. Viele fühlen sich im öffentlichen Leben ausgegrenzt oder benachteiligt. Worauf sollten die Parteien in Zukunft achten?
F.Z.: Sie sollten darauf achten, dass sie die Bedürfnisse, Ängste und Sorgen dieser Menschen viel stärker berücksichtigt werden. Es ist nun mal ein Faktum, dass Menschen mit einem türkisch klingenden Namen viel schlechtere Chancen bei der Jobsuche haben. Menschen mit einem türkischen oder ausländischen Aussehen, haben schlechte Chancen bei der Wohnungssuche. Sie bekommen nicht die gleichen Möglichkeiten wie die anderen Menschen. Das sind einzelne Beispiele, die ich nennen kann, wo Diskriminierung und Ausgrenzungen tagtäglich erlebt werden. Wenn irgendwo eine Debatte zu derartigen Themen stattfindet, gibt es Menschen, die reflexartig sagen: „Dann geh doch zurück dorthin wo du hergekommen bist". Das ist völliger Quatsch, weil sehr viele dieser Menschen in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, die sich auch hier in Deutschland absolut beheimatet und heimisch fühlen und in dieser Gesellschaft ihren Beitrag leisten möchten. Diese Aspekte sollten von den etablierten Parteien nicht ausgeklammert werden. Menschen mit diesen Sorgen und Ängsten sollten ernst genommen werden.
D.S.: Haben Sie einen Aufruf an die deutsch-türkische Gemeinde?
F.Z.: Ich fordere jeden wahlberechtigten Deutschtürken dazu auf, an den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und auch an den Bundestagswahl im September teilzunehmen. Es darf niemand zuhause bleiben. Wir müssen ganz klar das Signal setzen, dass Parteien, die ausschließlich populistisch mit den Themen Migration, Deutschtürken und der Türkei umgehen, eine Quittung erhalten werden. Wir müssen den Leuten klar machen, dass wir mit unseren wahlberechtigten türkischstämmigen Menschen, bei Wahlen, die knapp ausfallen könnten, das Zünglein an der Waage sein können. Wenn wir uns nämlich nicht mit der Politik beschäftigen, so werden wir von Politikern regiert werden, die sich nicht mit uns beschäftigen. Das müsste der Gradmesser dafür sein, dass man sich politisch engagiert und an der Wahl teilnimmt.