„Ja“ und „Nein“ Stimmen in der Türkei

DAILY SABAH
TÜRKEI
Veröffentlicht 16.04.2017 00:00
Aktualisiert 16.04.2017 19:10
AFP

Die Entscheidung beim Referendum rückt in greifbare Nähe. Viele sind angespannt, optimistisch oder aber auch skeptisch. Denn es scheint so, als würde es ein knappes Ergebnis werden. Wenn die Türkei sich mehrheitlich für das Präsidialsystem entscheiden sollte, dann wird es ein historischer Tag für die Türkei. Viele erhoffen sich dadurch Verbesserungen in den politischen Prozessen und empfinden das Präsidialsystem als geeignete Form der Demokratie für die politische Kultur der Türkei.

Die ersten Wahllokale in 32 Provinzen im Osten und Südosten der Türkei haben bereits um 16:00 Uhr Ortszeit geschlossen. Erste Ergebnisse wurden gegen 18 Uhr veröffentlicht.

Auch wenn die Wähler teilweise unterschiedlicher Meinung bezüglich eines möglichen Präsidialsystems sind, vereint die meisten dennoch eins: Alles sind für die Türkei.

Die „Zeit" veröffentlichte vor kurzem eine Bildgalerie mit verschiedenen Stimmen der Wähler.

Ich bin ein Patriot", sagt Cengiz Topcu. Der 57-jährige Fischer wird im Referendum mit „Nein" stimmen. Er wolle eine Demokratie, sagt er. Präsident Erdoğan hätte er aber immer als „guten Mann" empfunden.

Auch die Pathologin Sevdegül Aydin Mungan, 40, sieht sich als Patriotin. „Ich hatte in der Vergangenheit schwere Probleme, weil ich ein Kopftuch trage. Ich bin Präsident Erdoğan dankbar, unter ihm habe ich mich wieder wie ein Mensch gefühlt. Ich habe das Recht in Kleidern zu arbeiten, die meiner Lebensart entsprechen." Sie wird daher mit „Ja" stimmen.

So wie sie denken viele Frauen, die sich entschlossen haben ein Kopftuch zu tragen. Vor der AKP-Regierung mussten sie verschiedenen Repressionen ertragen. Die Bildung und die gesellschaftliche Partizipation wurden ihnen verwehrt. Sie waren nicht gleichberechtigt. Das Potenzial vieler Generationen ging dadurch verloren. Ihren Protest zeigten sie jedoch immer friedlich, auch wenn dieser Protest oft gewaltsam niedergeschlagen und die Frauen durch die Behörden diskriminiert wurden.

Hikmet Gündüz ein 52-jähriger Straßenverkäufer, posiert vor seinem Stand in Diyarbakır. Er hofft darauf, dass sein „Ja" Frieden bringt. „Ich mag Präsident Erdoğans Charakter. Er ist etwas wütend (...), aber sein Herz ist voll von Liebe", spricht er voller Begeisterung. Viele sehen in Präsident Erdoğan eine Vaterfigur. Ein Vater kann schon mal streng sein, aber er ist auch gerecht, weise und liebt seine Kinder. In dem Fall sind es keine Kinder, sondern die Bürger. Das Verhältnis ist von gegenseitigen Vertrauen und Liebe geprägt. Kaum ein Staatspräsident hatte bis heute eine ähnlich intensive, emotionale Bindung zum Volk wie er.

Didem Engin, die 39-jährige Abgeordnete der Oppositionspartei CHP, posiert in strenger Montur und kämpft für die „Nein"-Bewegung. „Die regierende Partei möchte eine religiöse Generation aufbauen, aber wir brauchen eine Generation, die Neuerungen einbringt und hinterfragt", sagt sie. Welche Neuerungen sie bringen mag ist nicht wirklich ersichtlich, steht sie doch nicht zuletzt für verstaubte elitäre Tendenzen in der türkischen Gesellschaft. Die CHP ist für ihre starren Grundsätze und Reformbemühungen von oben bekannt. Die türkische Gesellschaft musste das in den vergangenen Perioden der Ein-Parteien-Herrschaft spüren. Viele Menschen fühlen sich durch die CHP nicht repräsentiert und fürchten eine Rückkehr in despotische Zeiten. Feindbild der CHP sind vor allem fromme Bürger, die man am liebsten klein halten möchte.

Der Mustafa Göktaş, 47, ist Web-Editor und wird ebenfalls mit „Ja" stimmen. „Ich bin ein religiöser Mensch. Erdoğan ist einer von uns. Er versteht uns. Er kennt unsere Bedürfnisse. Er ist der Mann dieser Nation."

Erdoğan versteht die Bedürfnisse der türkischen Bevölkerung. Denn er ist in den Armenvierteln des Istanbuler Kasımpaşa Bezirks aufgewachsen. Er war ein Teil der Menschen, die von der Gesellschaft ausgegrenzt wurden. Er kommt von ganz unten. War befreundet mit den Sinti und Roma´s, spielte Fußball auf den brüchigen Straßen. Wie hart das Leben sein kann, musste er schon sehr früh erfahren.

Dilsat Gülsevim Arınç ist eine Kemalistin. Sie sagt: „Ich will niemanden, der über uns wie ein Sultan von seinem Thron regiert. Ich glaube zwar nicht, dass ein Sieg des ‚Nein' im Referendum Erdoğan aufhalten würde, aber es wäre eine sinnvolle Lehre für ihn." Sie ist Sinnbild für jene Menschen in der Gesellschaft, die sich mit der Ideologie der CHP identifizieren. Viele dieser Menschen haben von den Missständen in den Jahrzehnten vor der AKP-Regierung kaum was mitbekommen, da sie zu einer bevorteilten Schicht gehörten, die von der bürokratischen Elite gerne gesehen war. Eine Unterstützung wäre aus ideologischen Gründen für sie kaum vorstellbar. Die restlichen Gründe sind hier sekundär.

Erdoğan ist ein verlässlicher Politiker, er bedeutet viel für die Türkei, sagt die 41-jährige Hausfrau Pınar Ayyıldız Özen. Sie wird mit „Ja" stimmen. „In der Vergangenheit war es schwer, eine Waschmaschine zu kaufen. Wenn heute eine kaputt geht, kaufen wir einfach eine neue, anstatt die alte reparieren zu lassen." Sie ist eine der Vielen, die durch die AKP-Regierung nun endlich vom Wohlstand profitieren konnten. Vorher war dieser Wohlstand für viele nicht erreichbar.

Wir dürfen gespannt sein, wie die Entscheidung heute ausfallen wird.

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