In weniger als vier Tagen fällt die Entscheidung beim Referendum für die vorgeschlagene Verfassungsänderung. Sowohl Präsident Recep Tayyip Erdoğan, als auch Ministerpräsident Binali Yıldırım, bemühen sich in den letzten Tagen der Wahlkampfperiode für die Gunst der Wähler um sie zu einem „Ja" beim Referendum am 16. April zu bewegen.
Eines der wichtigsten Argumente des „Ja"-Lagers bezieht sich auf die politischen Abläufe, die dadurch einen progressiven Anstrich bekommen sollen. Die Parteibüros würden dadurch in Zugzwang sein, effizienter zu arbeiten und alle Gesellschaftsschichten anzusprechen, um die nötigen Stimmen bei einer eventuellen Präsidentschaftskandidatur zu bekommen. Die notwendige Unterstützung muss dann über 50 Prozent betragen.
Experten sehen darin eine wesentliche Veränderung des gegenwärtigen politischen Systems, das aktuell den Parteien ermöglicht, die Regierung mit nur etwa 20 bis 30 Prozent der Wählerstimmen zu bilden. Das Ergebnis sind dann kurzlebige Koalitionsregierungen.
„Aufgrund der Änderung, die mit dem neuen System einhergehen, wo der Präsident 50 + 1 Prozent der Stimmen erhalten muss, werden die Parteien nicht mehr dazu befugt sein, Regierungen mit geringer Unterstützung zu bilden. In gewisser Weise wird dies die politische Kultur verändern, die mittlerweile längst zur Gewohnheit in der Türkei geworden ist. Die Republikanische Volkspartei (CHP) – um nur ein Beispiel zu geben – wird dann gezwungen sein, die Wählerschaft, die über den Kern der traditionellen Unterstützer hinaus geht, anzusprechen, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Dazu gehören konservative Wähler ebenso wie auch Teile der kurdischen Bevölkerung. Die AK-Partei hätte das bereits getan, indem sie attraktiv für Kurden, Konservative, als auch Nationalisten wurde, sagte İsmail Çağlar, Direktor der Öffentlichkeits- und Medienforschungen von der in Ankara ansässigen Stiftung für politische, wirtschaftliche und soziale Forschung (SETA) und Lehrbeauftragter an der „Istanbul Medeniyet Universität".
Çağlar fügte hinzu, dass jene Parteien, die zuvor in der Lage gewesen waren, trotz ihrer niedrigen Wählerunterstützung, ein Teil der Koalitionsregierungen zu werden, nun andere Koalitionstypen bilden müssen, um eine größere Wählerbasis zu erlangen.
Die Befürworter der vorgeschlagenen Änderungen argumentieren, dass die Türkei seit jeher an kurzlebigen Regierungen leidet, wovon einige gerade mal eine durchschnittliche Lebensdauer von etwa einem oder eineinhalb Jahren hatten.
Zum Wahltag am 16. April werden etwa 55,3 Millionen stimmberechtigte Türken erwartet.
Durch die Änderungen würde der Posten des Ministerpräsidenten abgeschafften werden, wodurch sich die AK-Partei eine effektivere und beständigere Regierung erhofft.
Unterdessen sagte Ministerpräsident Binali Yıldırım am Mittwoch, dass die vorgeschlagenen Änderungen nicht nur für die AK-Partei gelten werden, sondern für alle Parteien, die darauf abzielen, zu arbeiten und den Menschen zu dienen.
„Ich bin mir sicher, dass der Weg zur Bildung einer Regierung nur dadurch gegangen werden kann, indem man die Herzen der Menschen gewinnt. Der Weg ist für jeden zugänglich, der die Bevölkerung der gesamten Türkei umarmt. Geschlossen ist er [der Weg] jedoch für spaltende, regional begrenzte, ethnische oder religiös polarisierende Parteien.", sagte Yıldırım in İzmir und unterstrich, dass mit dem neuen Regierungssystem die Möglichkeiten zur Spaltungspolitik stillgelegt und der Weg zur Einheit eröffnet werde und fügte hinzu: „Dies ist das neue System, wie kann so etwas als ein Rückschlag für das Land dargestellt werden?"
Yaşar Hacısalihoğlu, Rektor der „Yeni Yüzyıl Universität" und Lehrbeauftragter in der Abteilung für Internationale Beziehungen, sagte, dass sich die Veränderungen im neuen System positiv auf die Atmosphäre auswirken werden. Sie würde die politische Polarisierung beenden.
„Die politische Rhetorik wird sich abkühlen und der Präsidentschaftskandidat wird eine Legitimation aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft benötigen. Er wird versöhnlicher agieren müssen, um dem vielfältigen sozialen Gefüge des Landes gerecht zu werden", sagte Hacisalihoğlu und fügte hinzu, dass sich dadurch auch die politische Spannungen zwischen den unterschiedlichen Standpunkten verringern werden und die Bedürfnisse, die sich aus den soziopolitischen Dynamiken der Türkei und ihrer politischen Vielfalt heraus ergeben, besser befriedigt werden können.
In der Zwischenzeit ginge aus einer Umfrage von Pollern ANAR hervor, dass die „Ja" -Stimmen bei 52 Prozent liegen würden, berichtete Reuters am Mittwoch.
Die Umfrage wurde zwischen dem 5. und 10. April in den 26 Provinzen der Türkei durchgeführt. 4.000 Menschen nahmen daran teil.
Die Umfrage ergab, dass die Zahl der unentschlossenen Wähler auf acht Prozent gesunken ist und fügte hinzu, die „Ja"-Stimmen seien seit Anfang März um zwei Prozent gestiegen.
Ähnliche Umfragen von der Umfrageagentur „Konsensus" sahen die „Ja" Stimmen bei 51,2 Prozent. „Konsensus" hatte seine Umfrage mit 2.000 Menschen im Zeitraum zwischen dem 2. und 8. April in 41 Provinzen durchgeführt.
Präsident Erdoğan, der in der östlichen Provinz Erzurum sprach, sagte, dass die Menschen ihre Regierungen direkt und ohne Umwege wählen können.
„Der Staat wird zum Staat des Volkes. Der 16. April wird ein Albtraum für diejenigen, die zwar darauf brennen eine Regierung zu bilden, jedoch dabei nicht an die Menschen, sondern nur an sich selbst denken.", sagte Präsident Erdoğan vor einer großen Menschenmenge in Erzurum und kritisierte das derzeitige Parlamentarische System.
Mittlerweile unterstrich auch Ministerpräsident Yıldırım, dass das neue System die Parteien dazu zwingen würde, umfassender zu handeln und alle „Farben des Landes" zu reflektieren, da mehr als 50 Prozent der Stimmen nötig seien, um eine Regierung zu bilden.