Das Rennen für die „Ja" und „Nein"-Kampagnen hatte am 10. Februar ihren Anfang genommen, kurz nachdem Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine Initiative für die Verfassungsänderung unterzeichnete, wodurch sich die Türkei in einem Referendum-Prozess wiederfand. Nun sind es nur noch weniger als fünf Tage bis zum Tag der Entscheidung. Daily Sabah warf einen Blick auf die Bemühungen zweier „Kampagnen-Fronten" im Laufe der letzten zwei Monate.
Während die Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AK-Partei) und Präsident Erdoğan aktiv die „Ja" -Kampagnen führen, unternimmt die Republikanische Volkspartei (CHP) Anstrengungen, um die Menschen zum „Nein" zu bewegen. Die Bürger haben sich daran gewöhnt, Präsident Erdoğan, AK-Parteivorsitzenden Binali Yıldırım und CHP-Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu täglich bei ihren verbalen Schlachten auf türkischen Fernsehkanälen zu beobachten.
Straßen, Wohnorte, öffentliche Plätze, alles ist mit Bannern, Fahnen und Plakaten geschmückt. Es scheint so, als gebe es keinen Ort in der Türkei, der sich davon freisprechen könnte. Jeder, der sich zugunsten eines „ja" oder „nein" einsetzen möchte, hat die Möglichkeit Infozelte aufzustellen oder Broschüren zu verteilen.
Symbolhaft für die „Nein"-Kampagne, steht ein kleines Mädchen, die Haare zu Zöpfen gebunden. Hinter ihr eine bunte Sonne. Der Slogan lautet in dem Fall: „Ein Nein, für meine Zukunft". Die Botschaft ist hier klar: Die Menschen sollen nicht nur an sich und die Gegenwart denken, sondern auch die Zukunft der Kinder, die mit der Entscheidung leben müssen. Wieso die Zukunft des Mädchens durch das „Nein" bedroht sein könnte, bleibt aber irgendwie unklar.
Die „Ja"-Kampagne hingegen hat einige triftige Argumente mehr zu bieten. Die Schlagworte, die hier beworben werden sind: Einheit, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz, sowie eine starke Türkei mit einer größeren Wirtschaftskraft. Mehr Investitionen und eine Ankurbelung der Produktion.
Ein Banner worauf Präsident Erdogan abgebildet ist, unterstrich, dass die Bürger das letzte Wort haben werden. Die Entscheidung würde bei ihnen liegen.
Beide Lager verwenden zahlreiche Sprüche und Gedichte für ihre Kampagnen. Das „Nein"-Lager lässt auffordernd verlauten: „Los jetzt! Stimmen sie mit einem Nein!". Das „Ja"-Lager wirbt mit: „Eine starke Türkei mit einem Ja". Idealerweise mit einem stärkeren Einheits- und Zusammengehörigkeitsgefühl unter der Bevölkerung.
Ein Video in dem Präsident Erdoğan ein patriotisches und emotionales Gedicht vorträgt und die Leute dazu aufruft mit „ja" zu stimmen, wurde noch vor kurzem ausgestrahlt.
Professorin Edibe Sözen, Medien- und Kommunikationsexpertin sowie Soziologin, sagte, die „Ja"-Kampagne sei in der Öffentlichkeit präsenter, während die „Nein"-Kampagne den digitalen Bereich besser für sich zu nutzen wisse.
„Die ,Ja'-Kampagne ist eine Zusammenfassung der letzten AK-Wahlkampagnen", sagte sie.
Die relativ passive Haltung des „Nein" Lagers zu Beginn der Wahlkampagne hätte sich zunächst ausgezahlt, fügte sie hinzu.
İsmail Çağlar, Leiter der Öffentlichkeits- und Medienforschung von der in Ankara ansässigen Stiftung für „Politische, Wirtschafts- und Sozialforschung" (SETA) sowie Lehrbeauftragte an der „Istanbul Medeniyet Universität", ist ebenfalls der Meinung, dass die „soft"-Kampagne des „Nein"-Lagers zu Beginn mehr gefruchtet hat.
„Die CHP hat eine erfolgreiche Strategie festgelegt. Sie haben die „Ja"-Kampagne zunächst nicht dämonisiert, es war ein kluger Schachzug, aber es bedarf gewisser Fähigkeiten, diesen Weg erfolgreich fortzuführen", sagte Çağlar.
Kılıçdaroğlu hatte vor kurzem noch - aufgrund seiner umstrittenen Aussagen - für Schlagzeilen gesorgt. Im Gegensatz zu seinen sanften Ansätzen zu Beginn des Referendums, führte er überrascht harte Geschütze auf. Die Behauptung, dass der Putschversuch am 15. Juli ein „kontrollierter Putsch" war, schlug ein wie eine Bombe. Der CHP-Vorsitzende erntete dafür scharfe Kritik von allen Seiten. Zuletzt war noch eine Videoaufzeichnung von der Putsch-Nacht aufgetaucht, wo er mit seiner Gefolgschaft im VIP-Bereich des Atatürk-Flughafens zu sehen ist. Als er die Panzer am Eingang sieht, weicht er zurück. Doch plötzlich entfernen sich die Panzer und machen ihm den Weg frei. Er kann dann einfach rausspazieren. Er hatte im Vorfeld behauptet, dass er sich bei einem Putsch als erster gegen die Panzer stellen würde. Vielleicht behauptet er ja bald auch, dass die Panzer Angst vor ihm bekommen haben und daher weggefahren sind. Erwarten kann man aktuell alles aus den Reihen der CHP-Führung.
Sözen betonte, die AK-Partei und Erdoğan hätten immer eine bestimmte Strategie gefahren, die schichtübergreifend, das ganze Land ansprechen würde.
Çağlar sagte, dass die AK-Partei eine Doppelstrategie verfolge.
Die AK-Partei würde über ihre bisherigen Errungenschaften aufzeigen und zugleich eine emotionale Synergie erzeugen, sagte er und fügte hinzu, dass diese Strategie bisher gut gelaufen sei.
Das vorgeschlagene Gesetz gewährt dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten, in gewissen Fragen, eine Entscheidungshoheit, die jedoch nicht unantastbar ist und kontrolliert wird.
Zudem soll das Mindestalter für die Abgeordneten im Parlament von 25 auf 18 herabgesetzt und deren Zahl von 550 auf 600 erhöht werden. Auch beim Verfassungsgericht ist eine Änderung geplant. Die Zahl der Mitglieder wird von 17 auf 15 verringert.
Das gleiche Gesetz schlägt auch vor, dass die allgemeinen Wahlen alle fünf, statt wie aktuell, alle vier Jahre stattfinden sollen. Die Präsidentschaftswahl würde dann auch am selben Tagen stattfinden.
Dem Präsidenten wird das Recht gewährt, Vize-Präsidenten und Minister ernennen zu können. Ebenso sie wieder abzusetzen. Darüber hinaus gibt es keinen „Ministerrat" mehr, aber die Minister werden weiterhin tätig sein.
Der Präsident erhält zudem eine Exekutivmacht, die jedoch nicht uneingeschränkt sein wird. In dem neuen System würde das Parlament das Recht bekommen, die Exekutivverordnungen des Präsidenten zu diskutieren und zu ändern. Auch wird es in der Lage sein, neue Parlaments- und Präsidentschaftswahlen anzusetzen.
Auch die im Ausnahmefall erteilten Exekutivverordnungen müssen innerhalb von drei Monaten im Parlament diskutiert werden.
Abgesehen von den Änderungen in der Exekutive, beinhaltet die Reform auch die Neuerung, dass der Präsident seine parteipolitische Zugehörigkeit aufrechterhalten kann. Präsident Erdoğan zum Beispiel, war schon länger der Verfechter einer solchen Idee. Dadurch verspricht er sich einen effektiveren politischen Prozess.
Sözen unterstrich, die „ja"-Stimmen seien nun auf dem Vormarsch, jetzt wo das Referendum näher rücke.
Besonders die Wahlauftritte Erdoğans seien ein wichtiger Faktor der „Ja-Kampagne". Er sei ein bedeutender Akteur mit großer Überzeugungskraft.