Acht Monate vor der Bundestagswahl stellt sich die SPD grundlegend neu auf: Anstelle von Sigmar Gabriel geht der frühere EU-Parlamentspräsident Martin Schulz als Kanzlerkandidat gegen Angela Merkel (CDU) ins Rennen.
Gabriel gibt zudem den SPD-Vorsitz an Schulz ab und wechselt vom Wirtschaftsressort ins Außenministerium. Neue Bundeswirtschaftsministerin wird die bisherige Staatssekretärin Brigitte Zypries. Am Dienstagabend billigte das SPD-Präsidium die Vorschläge Gabriels.
Am Sonntag soll der SPD-Parteivorstand darüber abstimmen, Anfang März ein außerordentlicher Parteitag, wie Gabriel nach einer Sitzung des SPD-Präsidiums in Berlin sagte. Es sei "richtig und glaubwürdig", dass Schulz neben der Kanzlerkandidatur auch den SPD-Vorsitz übernehme, betonte er.
Die Entscheidung habe er am vergangenen Samstag gemeinsam mit Schulz gefällt, sagte Gabriel. Einstimmig beschloss das SPD-Präsidium zudem, dass der bisherige Wirtschaftsminister Nachfolger von Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird, der am 12. Februar zum Bundespräsidenten gewählt werden soll.
Gabriel sagte, Schulz sei ein "großer Sozialdemokrat, ein deutscher Europäer und ein europäischer Deutscher". Er könne Brücken bauen und Menschen zusammenführen.
Schulz sagte, Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz seien eine "außergewöhnliche Ehre, die ich mit Stolz und auch der gebotenen Demut annehme". Mit Blick auf die Bundestagswahl erhob er den Führungsanspruch für die SPD. "Allen Populisten und den extremistischen Feinden unserer Demokratie" sagte Schulz zudem den Kampf an. Die Sozialdemokraten seien die "Brandmauer" gewesen, wann immer die Demokratie in der deutschen Geschichte gefährdet gewesen sei.
Schon am Nachmittag hatten der "Stern" und die "Zeit" vorab Interviews mit Gabriel veröffentlicht, in denen er seinen Entschluss bereits erklärt hatte. Dem "Stern" sagte Gabriel, Schulz habe "die eindeutig besseren Wahlchancen" gegen Merkel: "Wenn ich jetzt anträte, würde ich scheitern und mit mir die SPD."
In einer Erklärung zu seinem Schritt schrieb Gabriel später, gebraucht werde ein "glaubwürdiger Neuanfang zur großen Koalition". Den repräsentiere Schulz in der deutschen Öffentlichkeit "mehr als jeder andere von uns". Es gehe darum, "den Angriffen der neuen US-Regierung selbstbewusst entgegen" zu treten.
SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks zeigte sich überrascht von der Entscheidung Gabriels. Ebenso wie andere Vertreter der SPD-Spitze bemühte sie sich dennoch, das Vorgehen positiv darzustellen. Gabriel habe die Entscheidung "aus einer Position der Stärke heraus gefällt", sagte Hendricks.
"Martin Schulz hat als SPD-Kanzlerkandidat die besten Chancen", erklärte die als Gabriel-Kritikerin bekannte Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann. "Als glühender Europäer und entschiedener Gegner des Rechtspopulismus ist Schulz der richtige Kandidat zur richtigen Zeit."
CDU-Generalsekretär Peter Tauber schrieb auf Twitter: "Wir freuen uns auf einen fairen Wahlkampf!" CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nannte Schulz "das letzte Aufgebot". Den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte er: "Wir erleben Panik und Chaos bei der 20-Prozent-SPD."
Die Linke reagierte mit Skepsis. Gabriel habe zwar viel Anlass zur Kritik gegeben und "seiner Partei nichts geschenkt", sagte Fraktionsvize Klaus Ernst der Nachrichtenagentur AFP. "Schulz hat bewiesen, dass er ein großes Herz für große Koalitionen hat", kritisierte Ernst. Grünen-Chefin Simone Peter würdigte Schulz als "überzeugten Europäer".