In dem alten osmanischen Kalender wurden meteorologische Prognosen auf der Grundlage von jahrhundertelanger Erfahrung abgebildet. Sie waren oft in der Lage, das tägliche Wetter genau vorherzusagen. In diesem julianisch geprägten Kalender ist das Jahr zweigeteilt.
Die erste Hälfte des Jahres, die am 7. November beginnt und den Winter markiert, endet nach 179 Tagen. Es folgt der Hızır (Sommer) ab dem 5. Mai und dauert 186 Tage an.
Obwohl der Tag nach dem modernen Kalender eigentlich am 5. Mai gefeiert wird, fällt „Hıdırellez" heute auf den 6. Mai. Grund dafür ist ein Fehler bei der Umstellung des Julianischen Kalenders zum Gregorianischen. Der Tag wurde traditionell gefeiert, als die Sonne das Plejaden-Zeichen erreichte und damit das Ende der kalten Temperaturen und die Ankunft des Frühlings für die Region signalisierte. Es umfasste die Ortschaften von Rumelien nach Anatolien und von der Krim bis nach Aserbaidschan und „Turkistan".
Den Wechsel der Jahreszeit konnte man auch in der Natur erblicken, die mit blühenden Bäumen, lebendigen Blumen und gedeihenden Pilzen überzogen war.
Nach einer Legende war „Hıdırellez" der Tag an dem die Propheten Hızır (al-Khidr), der Wächter der Meere, und İlyas (Elijah), der Beschützer der Einwohner, sich auf der Erde trafen. Die beiden Namen wurden später zu „Hıdırellez" zusammengefügt.
Hızır, bedeutet auf Arabisch „grün", er wird oft als ein weiß bärtiger Mann mit roten Schuhen und einem blühenden Gewand dargestellt. Es wird geglaubt, dass er seiner Gefolgschaft Blüten und Grünzeug hinterlässt.
Während Hızır mit botanischer Pflegschaft verbunden ist, verbreitet İlyas seine Segnungen, indem er Wasser und Tiere mit seinem Zauberstab berührt. İlyas wird groß, hellhäutig und in Ziegenhaut bekleidet dargestellt. Laut der Legende kommen Hızır und İlyas zu Menschen in Not. Menschen, die nach dem langen Winter deprimiert sind, sehen „Hıdırellez" als Quelle der Hoffnung.
Nach dem islamischen Glauben werden diese beiden Männer als Propheten betrachtet, deren Seelen, trotz ihrem Tod, wieder erscheinen, um Menschen zu helfen. Der Glaube an „Hıdırellez" hat seinen Ursprung nicht im Islam an sich, genauso wenig ist es ein religiöser Tag für Juden und Christen, obwohl verschiedene christliche Kirchen einen griechischen Festtag namens Aya Yorgi (St. George's Day) feiern, der aber keine Ähnlichkeit mit „Hıdırellez" aufweist.
Auch wenn Muslimische Autoritäten empfindlich reagieren wenn es ums Feiern von Festen anderer Religionen geht, trifft es in diesem Fall nicht zu. Der Gelehrte „Shaykh al-Islam Ebussuud" sagte beispielsweise, dass Hıdırellez eine legitime, wenn auch keine religiöse, Festlichkeit sei.
Das erste Lamm des Jahres
Als das Fest zu früheren Zeiten noch groß gefeiert wurde, war „Hıdırellez" besonders für die Kinder ein freudiger Tag und manifestierte sich in deren Köpfen als freudiges Ereignis. Zur Feier strömten die Menschen, die von der Winterzeit ermüdet waren, mit Picknick-Körben in die Landschaft und waren froh über die Ankunft des Sommers.
Lamm mit Reis, gefülltes Gemüse in Olivenöl gekocht, Käse Pita und „Helva" aus Grieß waren traditionelle Lebensmittel bei den Feierlichkeiten. In Istanbul wurde dann auch die ersten Lämmer geschlachtet und gegessen, da sie nun groß genug waren.
Während des Tages aßen die Leute, tranken und spielten Spiele während Andere das Wandern auf dem Land bevorzugtem, um sich vom Stress des Winters zu reinigen. In der Vergangenheit organisierte der Sultan auch ein „Lamm-Festmahl" für die Studenten und die Soldaten in den Kasernen, die sich den Tag dann auch frei nahmen, um zu entspannen.
Auch Handwerker und Arbeiter nahmen sich frei und kamen zum Festivalgelände, um sich den Feierlichkeiten anzuschließen.
In Istanbul fingen die Vorbereitungen für die „Hıdırellez" Feier bereits eine Woche vorher an. In verschiedenen Bezirken, wie Kağıthane, Göksu, Kuşdili und Fikirtepesi wurden Plätze geschmückt und angerichtet, Reiche Bürger schickten Einladungen an ihre Freunde.
Die Welt fühlte sich klein an
Die Leute reisten mit ihren Boot, den Pferden oder einem Ochsenwagen nach Kağıthane. Die elitären Bürgen hätten das Spektakel eher aus der Ferne beobachtet und den Ort alsbaldr wieder verlassen. Aufgrund der maritim-fröhlichen Atmosphäre war es unterhaltsamer, das Festivalgelände über den Seeweg zu erreichen, wo die Boote dann zusammengebunden wurden. Beim Ablegen hätten die Leute dann fröhliche Lieder angeklungen.
Die Kaffeehäuser in Kağıthane wären auch zum ersten Mal an diesem Tag geöffnet worden. Manche Leute saßen an Tischen, aber die Meisten saßen am liebsten auf den typischen orientalischen Decken, den„Kelims", die sie auf den Boden in der Nähe des Wassers oder unter den Bäumen ausbreiteten. Traditionsgemäß feierten Männer und Frauen getrennt. Den Händlern wurde es verboten, den Frauen etwas zu verkaufen oder sich ihnen zu nähern, eine Regel, die von der Polizei streng durchgesetzt wurde. Das führte dazu, dass die Händler kreative Ideen entwickelten, um an die Frauen ran zu kommen. Die Lösung wurde dann auch irgendwann gefunden. Ihnen fiel nämlich auf, dass die älteren Frauen oft mit den kleinen Kindern alleine irgendwo saßen. Sie ließen dann andere Kinder für sich arbeiten und schickten sie zum Verkauf ihrer Waren zu den Frauen.
Während des ganzen Tages hätten Puppenspieler, Akrobaten, Karussells und Händler die festlichen Plätze gefüllt. Das Lachen der Kinder, die Rufe der Händler, das Geräusch von Trommeln und der Lärm der Spielzeuge verschmolzen und wurden zu einem gebündelten Laut, und diejenigen, die sich dort befanden, stellten fest: Die Welt ist in der Tat ein kleiner Ort.
Das Mittagessen wurde gemeinsam verspeist, noch bevor die Sonne unter zu gehen begann. Das führte zu fröhlichen Gesprächsrunden und neue Freundschaften wurden dadurch geschlossen. Am Ende des Tages, bei Sonnenuntergang und Anbruch des Abends, gingen die Leute langsam wieder nach Hause, eine kleine Völkerwanderung, die von der Polizei überwacht wurde. Die Besucher seien nach der Feier viel glücklicher und zufriedener gewesen, aber auch froh, als sie wieder zuhause ankamen. Eine weitere Menschengruppe wäre um das Goldene Horn herumgezogen, um die Ankunft der singenden und tanzenden Leute zu beobachten, die sich über die Unkapanı-Brücke auf den Heimweg machten.
Rosenzweig
Man glaubte, dass Wünsche, die in der Nacht von Hıdırellez gesprochen wurden, wahr werden würden. Die Wünsche ähnelten einander. Man wünschte sich ein Ende der eigenen Probleme, eine schnelle Erholung für Kranke, bessere Perspektiven für eine glückliche Ehe und natürlich: Mehr Geld.
Die Leute hängten rote Beutel voller Münzen in ihre Gärten, während sie die Wünsche aussprachen.
Am nächsten Tag wurden diese Beutel wieder geöffnet, während der Gebetsspruch „Bismillah" rezitiert wurde. Die Münzen wurden dann in die Taschen gesteckt, da man hoffte sie würden einem Glück bringen.
Eine weitere Tradition, der junge Mädchen nachgingen, war es, ihre persönlichen Gegenstände wie Ringe, Haarklammern oder Knöpfe in wassergefüllte Töpfe zu legen, die in der Mitte des Palisanders im Garten platziert wurden. Das ganze wurde dann mit Kopftüchern bedeckt. Am nächsten Morgen musste das jüngste Mädchen der Familie einen roten Schleier tragen und einen Gegenstand aus dem Topf entnehmen, begleitet von Liedern. Der Gegenstand sollte dann Glück für den Besitzer des Gegenstandes bringen.
Potenzielle, zukünftige Hausbesitzer hätten ein Hausmodell aus Streichholzschachteln begraben und es am nächsten Morgen ausgegraben. Auch wurde geglaubt, dass ein Mädchen, das eine Puppe von einer Braut bastelt und es an einen Rosenzweig hängt, sie die Person im Traum sehen wird, die für sie vorhergesehen war. Für diejenigen, die mehr Glück brauchten, wäre ein Schloss nachts für sie geöffnet worden.
Andere Bräuche an Hıdırellez waren: Die Frühlingsreinigung, das Tragen neuer Kleider, das Aufstehen am frühen Morgen, das Überspringen der Arbeit an diesem Tag und das backen von speziellen Kuchenstückchen mit Heilkräutern. An manchen Orten hätten die Leute auch ein Feuer angezündet und wären dann drüber her gesprungen.