Joachim Löw darf seinen Traumjob weiter ausüben, auch wenn er den Neubeginn nach dem historischen Vorrunden-Aus in Russland mit einem schweren WM-Rucksack angehen muss.
Nach einigen Tagen Bedenkzeit im Anschluss an den von ihm verantworteten Tiefpunkt der Nationalmannschaft beim blamablen 0:2 gegen Südkorea signalisierte der Bundestrainer dem DFB seinen Willen zum Weitermachen. Der wurde beim weltgrößten Fußball-Verband freudig begrüßt.
Denn entschwand Löw durch den Hinterausgang, das Reden nach seinem «Ja»-Wort überließ er Manager Oliver Bierhoff. Nach einigen Tagen Bedenkzeit und spontanen Rücktrittsgedanken nur direkt im Anschluss an den von ihm verantworteten Tiefpunkt der deutschen Nationalmannschaft signalisierte Löw dem DFB seinen Willen zum Weitermachen. Dieser wurde von den Funktionären freudig begrüßt.
«Ich möchte mit ganzem Einsatz den Neuaufbau gestalten», äußerte der Bundestrainer in einer Pressemitteilung nach einem Spitzentreffen in der Frankfurter Verbandszentrale. Er selbst trat nicht vor die Reporter, das erledigte Bierhoff. «Die Entscheidung ist nicht heute gefallen», verriet der Manager, der mit Löw am Montag an dessen Wohnsitz Freiburg zusammengekommen war.
«Es war gerade auch für Jogi und mich, die diesen erfolgreichen Weg seit 14 Jahren gehen, gerade in der Nacht der Niederlage besonders schwer. Da denkt jeder erstmal ans Aufhören», erinnerte Bierhoff an die Stunden nach dem 0:2-Untergang gegen Südkorea in Kasan. «Aber ich habe schon am nächsten Tag bei ihm und bei mir die Energie gespürt, dass wir bereit sind, den neuen Weg zu gehen.» Der Manager sprach von der «Notwendigkeit, die notwendigen Schritte zu machen». Er bemühte sich vor der DFB-Zentrale zudem darum, Geschlossenheit mit Löw zu demonstrieren: «Schwierigkeiten bringen einen noch näher zusammen».
Zuvor hatte die WM-Delegation um Präsident Reinhard Grindel, Vize Rainer Koch, Ligapräsident Reinhard Rauball und Generalsekretär Friedrich Curtius in einer kurzfristig anberaumten Sitzung bei Löw «eine ungebrochene Motivation und Energie» verspürt, «die Mannschaft auf die anstehenden Herausforderungen vorzubereiten».
Von Grindel («Jogi Löw wird uns zurück in die Erfolgsspur führen») über Bierhoff («Jogi hat schnell wieder die Kraft gefunden») bis hin zu Kapitän Manuel Neuer wurde Löws Entschluss einhellig begrüßt. «Ich freue mich, dass wir mit Jogi Löw unseren lange Zeit erfolgreichen Weg fortsetzen können. Und ich habe das Vertrauen, dass wir gemeinsam wieder zu unserer Stärke finden», sagte der Torwart.
Neuer hatte angekündigt, beim Neubeginn ebenfalls dabei sein zu wollen. Löws Vertrag war vom DFB Mitte Mai vorzeitig um zwei Jahre bis zur nächsten WM-Endrunde 2022 in Katar verlängert worden.
Erstaunlich ist, dass der Verband Löw und Bierhoff gleich wieder viel Freiraum gewährt. «Wenige Tage nach einem solchen Turnier-Aus eine umfassende Analyse einzufordern, wäre verfrüht», erklärte Grindel. Bundestrainer und Manager sollen sich «die notwendige Zeit» zur Aufarbeitung nehmen. Sie müssen dem Präsidium erst vor dem nächsten Länderspiel in fünf Wochen gegen Frankreich, «in dem wir in der Nations League gleich gefordert sind, eine umfangreiche Analyse vorstellen», wie Grindel mitteilte.
Löw äußerte große Dankbarkeit für das Vertrauen, «das der DFB weiterhin geschlossen in mich setzt». Er spüre «trotz der berechtigten Kritik an unserem Ausscheiden auch generell viel Rückhalt und Zuspruch», sagte der Weltmeistercoach von 2014. «Auch meine Enttäuschung ist nach wie vor riesig.» Eigentlich wollte Löw am Dienstag in St. Petersburg weilen, wo als Gruppenerster das Achtelfinale gegen die Schweiz auf dem Programm gestanden hätte.
«Ich werde gemeinsam mit meinem Team analysieren, Gespräche führen und zum Start der neuen Saison die richtigen Schlüsse ziehen», versprach er. «Das alles braucht Zeit, wird aber alles rechtzeitig bis zum Start in die neue Länderspielsaison im September geschehen.»
Löw will nach dem ersten Turnier-Fiasko seiner Amtszeit auch die Wende herbeiführen. Er ist der erste Bundestrainer, der sich nach einem Vorrunden-Aus bei einem Turnier im Amt halten konnte. Jupp Derwall (1984), Erich Ribbeck (2000) und Rudi Völler (2004) mussten jeweils nach einem K.o. in der Gruppenphase bei EM-Endrunden ihren Posten räumen - oder taten es freiwillig. Völler etwa wollte den Weg für einen unbelasteten Neuanfang Richtung Heim-WM 2006 freimachen.
Löw will wagen, was bei Berti Vogts vor 20 Jahren schiefging. Nach dem Viertelfinal-Aus bei der Weltmeisterschaft in Frankreich machte der Europameister von 1996 zunächst weiter. Das hinausgeschobene Vogts-Ende kam aber schon Anfang September nach einem enttäuschenden 2:1 gegen Malta und einem 1:1 gegen Rumänien. Ribbeck übernahm als Notlösung - erfolglos.
Löws Neustart erfolgt ebenfalls im Spätsommer. Der tief gefallene viermalige Weltmeister Deutschland empfängt am 6. September in München Frankreich im Rahmen der neuen Nationenliga. Drei Tage später ist Peru in Sinsheim Testspielgegner. Der 50-jährige Bierhoff stellte am Dienstag auch «strukturelle Veränderungen» in Aussicht. Aber es bringe nichts, vorschnell mögliche Maßnahmen zu verkünden.
Dass Löw nicht hinwarf, überrascht Bundesliga-Macher nicht. «Jeder, der die Szene seit vielen Jahren kennt, konnte daran riechen, dass es genau so kommen wird», sagte Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Niemand in der Liga forderte: Löw raus!
Der liebt seinen Job. Löw hat sich in ihm eingerichtet. Er hat die Nationalmannschaft und ihr Umfeld ganz nach seinen Vorstellungen ausgerichtet. Ein einfaches Weiter-so aber soll es aus DFB-Sicht nicht geben. Grindel erwartet, dass «die richtigen Schritte» eingeleitet werden. Denkbar sind personelle Veränderungen in Löws Assistentenstab, ebenso im Team hinter dem Team.
Ein Umbruch muss beim Spielerkader erfolgen. Was wird aus in die Jahre gekommenen Weltmeistern wie Sami Khedira (31)? Oder Mesut Özil? Der WM-Prügelknabe wird wie Mats Hummels und Jérôme Boateng noch in diesem Jahr 30. Kapitän Neuer ist 32. geht Löw mit ihnen die EM 2020 an? Die erfahrenen Toni Kroos und Thomas Müller sind dagegen erst 28 Jahre alt. Zurückgetreten ist bislang keiner der 23 WM-Akteure.
Löw hatte vor dem WM-Untergang selbst den Schnitt angedeutet, den er nach dem Confed-Cup-Gewinn 2017 mit einem jungen Perspektivteam um Draxler, Werner, Goretzka oder Kimmich noch nicht konsequent vollzog. «Eine Mannschaft in einem Zeitraum von vier Jahren von einer WM zur nächsten mit vielen jungen Spielern vorzubereiten, das macht mir unheimlich Spaß», sagte Löw. Er kann aber nicht erst 2022 in Katar liefern. Er muss schnell zeigen, dass er noch der Richtige ist.