Die Europäische Bürgerbeauftragte meldet eine spürbare Zunahme von Beschwerden über Missstände in EU-Institutionen. «Die Zahlen sind im vergangenen Jahr deutlich hochgegangen», sagte Ombudsfrau Emily O'Reilly der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel.
Nach 1880 im Jahr 2016 kamen im vergangenen Jahr 2181 Fälle zusammen. O'Reilly leitete 447 Untersuchungen ein. Im Jahr davor wurden nur 245 neue Verfahren gestartet. 234 Beschwerden kamen 2017 aus Deutschland, dazu wurden 55 Untersuchungen begonnen.
O'Reilly führt den Anstieg vor allem darauf zurück, dass ihre Institution bekannter wird. Nach ihrem Amtsantritt 2013 habe sie gezielt versucht, ihre Behörde mit rund 80 Mitarbeitern schlagkräftiger, relevanter und sichtbarer zu machen. «Objektiv war das erfolgreich», sagte die frühere irische Journalistin, die vor dem EU-Amt zehn Jahre Ombudsfrau in Dublin war.
An die Bürgerbeauftragte kann sich jeder EU-Bürger mit Beschwerden über EU-Institutionen wenden. Zuständig ist sie für «Missstände in der Verwaltungstätigkeit», also Machtmissbrauch, aber auch Diskriminierung, Regelverstöße, Ablehnung von Bescheiden oder die Verweigerung von Informationen.
Wirbel machte in Brüssel ihre Untersuchung zur Tätigkeit des früheren EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso für die Investmentbank Goldman Sachs. Wegen Barrosos Wechsel änderte die EU-Kommission ihre internen Regeln und verlangt nun eine dreijährige «Abkühlphase» vor einer neuen Berufstätigkeit eines Ex-Kommissionschefs.
Nach einem Treffen Barrosos mit dem derzeitigen Kommissionsvizepräsidenten Jyrki Katainen verlangte O'Reilly zuletzt, Barroso solle auf jede Lobbytätigkeit bei der Kommission verzichten.
Stolz ist O'Reilly auf eine Änderung, die eine andere Untersuchung auslöste: Praktikanten beim Auswärtigen Dienst der EU sollen nun bezahlt werden. Beschwert hatte sich eine Betroffene, die argumentierte, wenn noch nicht einmal Unkosten übernommen würden, könnten nur Kinder reicher Eltern karrierefördernde Praktika machen.
Insgesamt sei ihr Amt immer noch wenig bekannt - die meisten Leute hätten wohl noch nie davon gehört, räumte O'Reilly ein. Zudem gelte: «Die meisten Menschen interessieren sich nicht im Geringsten für die EU-Institutionen. Sie interessieren sich für ihre Familie, für ihren Job, ihre Lebensqualität. Nur, wenn die nicht besonders gut ist und ihre Politiker oder bestimmte Medien sagen, Brüssel sei schuld, dann passiert etwas.» Dass die nationalen Regierungen die EU-Gesetzgebung mit prägen, wüssten viele gar nicht.
Trotz der jüngsten Aufregung über die Beförderung des deutschen EU-Spitzenbeamten Martin Selmayr stellt O'Reilly der derzeitigen EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker ein recht gutes Zeugnis aus. Die Behörde bemühe sich um mehr Transparenz, etwa bei Verhandlungen über Handelsverträge oder den britischen EU-Austritt.
Ein Dorn im Auge ist der Bürgerbeauftragten jedoch der «Drehtüreffekt»: EU-Beamte, die wegen ihrer guten Kontakte lukrative Jobs bei Brüsseler Lobbyfirmen bekommen. «Sie werden regelrecht ins Schaufenster gestellt: Schaut, wen wir haben», sagte O'Reilly. «Das ist ein Problem.»