Deutsche Medien und ihr Meinungsbild über die Pressefreiheit in der Türkei

BURAK ALTUN @burakaltun_DS
ISTANBUL
Veröffentlicht 02.06.2017 00:00
Aktualisiert 16.10.2018 20:58
DPA

Der Journalismus in der Türkei ist in den deutschen Schlagzeilen sehr oft anzutreffen. Man könnte denken, die Türkei bestehe ausschließlich aus Journalisten - und dass sonst niemand Probleme hat.

Erst kürzlich ist wieder ein Artikel von der „taz-gazete"-Redakteurin Ebru Tasdemir veröffentlicht worden, wo sie die Pressefreiheit in der Türkei anprangert und diverse Fragen an die emeritierte Publizistik-Professorin Yasemin Giritli richtet.

Diese behauptet, dass Journalisten in der Türkei, die für „alternative Medien" arbeiten als „Staatsverräter und Terroristen" verunglimpft werden. Aus ihrer Sicht sind die oppositionellen Medien Randerscheinungen. Dabei sind Zeitungen wie „Sözcü" oder „Cumhuriyet" nach wie vor auflagenstark. Klar, regierungsnahe Medien gibt es zuhauf, aber die Opposition ist nicht so stumm, wie sie gerne dargestellt wird. Von Verboten betroffen waren in jüngster Zeit die Medien der Gülen-Bewegung, nachdem diese für illegal erklärt wurde. Die Gülen-Bewegung war nachweislich für den Putschversuch in der Türkei verantwortlich. Das Verbot der Gülen-Medien ist daher eine logische Folge und sollte nicht als Maßstab für Medienfreiheit gelten. Dass die regierungsnahen Medien in der Türkei überwiegen, ist eine Folge der seit 2002 ununterbrochen Legislaturperioden der AK-Partei und der freien Wirtschaft, die es ermöglicht, dass Medien den Besitzer wechseln können - und zwar rechtmäßig.

„Journalist*in zu werden, ist für idealistische Studierende über kurz oder lang ein hoffnungsloser Weg", sagt Giritli. Viele müssten in die Werbebranche gehen und mit PR-Tätigkeiten über die Runden kommen.

Viele dieser vermeintlichen Opfer der der türkischen Medienlandschaft freuen sich in Wirklichkeit über den Anstieg ihrer Popularität. Sie haben einen Weg gefunden, einen Quereinstieg in den europäischen Journalismus zu finden - auch wenn sie qualitativ nicht die besten Journalisten sind. So lange die Türkei in den Schlagzeilen ist, so lange scheinen sie auch ihren Job sicher zu haben. Eine Polarisierung wird zwar kritisiert, aber zugleich auch gefördert. Viele versuchen ganz opportunistisch ihren Nutzen aus der Situation zu ziehen. Die Plattform taz-gazete beispielsweise würde es ohne die politischen Kontroversen wahrscheinlich nicht geben .

Viele von den türkischstämmigen Journalisten, die man in den deutschen Medien zu lesen bekommt, geben sich frei, weltoffen, tolerant und pluralistisch. Die meisten sind es mit Sicherheit auch - aber ein nicht zu unterschätzender Teil ist es nicht. Sie, die sich selbst schwammig als oppositionelle Journalisten bezeichnen, besitzen oft eine klare politische Färbung, die nicht unbedingt mit jenen zuvor erwähnten Werten harmoniert. Die Färbung kann von linksseparatistisch über oligarchisch-kemalistisch bis hin zu rechtsextremistisch reichen.

Es ist zunächst festzustellen, dass die sich Türkei aktuell innenpolitisch und gesellschaftlich – vor allem bedingt durch den Putschversuch im letzten Jahr - in einer Situation befindet, die mit keinem anderen Staat vergleichbar ist. Mit ihrer eigenen politischen Kultur, gepaart mit dem historischen Erbe und der ethnischen Vielfalt, ist die Türkei ein einzigartiges Gebilde. Dort gibt es neben „linken Nationalisten" (Eine Ideologie, die sich als anti-imperialistisch, aber zugleich auch nationalistisch und kemalistisch versteht) auch altbackene Kemalisten oder Kommunisten. Bei den Kemalisten ist die Nation klar definiert: Alle müssen sich dem kemalistischen Gesellschaftsideal unterordnen - wenn nicht, dann zählen sie als potentielle Volksverräter und müssen indoktriniert werden, um ins Schema zu passen. Daher waren fromme Muslime und ethnische Minderheiten im kemalistisch strukturierten Staat lange Zeit Opfer dieser Ideologie.

Präsident Erdoğan ist für die Kemalisten schon länger ein Feindbild. Die Feindschaft reicht bis in die 90er zurück. Sie beschuldigen ihn nach wie vor die Einheit der Nation zu gefährden, weil die AK-Partei den religiösen und ethnischen Minderheiten mehr Rechte gewährt hat und ihnen ermöglichte, ihre Sprache, Religion und Kultur frei zu leben. Erdoğan brach nach und nach mit den starren kemalistischen Prinzipien. Jene Strömungen sahen darin eine Gefahr für die nationale Identität. Ein konservativer und gläubiger Muslim, der sich zudem tolerant gegenüber der Vielfalt in der Gesellschaft zeigt - das wirkte für einige provokativ. Erdoğan kam ins Gefängnis, seine Partei wurde verboten und auch gegen die AK-Partei wurde später ein Verbotsverfahren eingeleitet, das aber scheiterte. Man versuchte alles, um die politische Karriere Erdoğans zu beenden - jedoch ohne Erfolg. Zuletzt entging Erdoğan einem Putschversuch der Gülen-Terroristen. Man munkelt, dass sich einige Kemalisten in Militär und Staat mit den Gülenisten verbündet haben - um zumindest eine Zeit lang - gemeinsam gegen Präsident Erdoğan und die AK-Partei anzugehen.

Die Gülen-Bewegung hat seit Jahrzehnten die Gesellschaft teils offen, teils verdeckt, unterwandert. Nach außen hin zeigen sich die Drahtzieher der sektenartigen Gruppe als Opfer und nicht als Täter. Sowohl die Gülenisten als auch verschiedene Strömungen des Kemalismus, sind zahlenmäßig nicht zu unterschätzen. Die Medien dienten für sie lange Zeit als Mittel, um die eigenen Ansichten zu verbreiten, und politische Entscheidungen zu stützen. Einige in der Türkei angeklagte Journalisten kommen genau aus diesem Spektrum. Zwischen diesen ideologischen Kreisen gibt es einige politische Verflechtungen, die beispielsweise bei der letzten Wahl ersichtlich wurden. Die kemalistische CHP und die PKK-freundliche HDP - die politisch eigentlich nicht viel gemeinsam haben - hatten eine Art Bündnis untereinander geschaffen, um die AK-Partei zu entmachten. Am Ende war aber eine dritte Partei für die Koalitionsbildung notwendig. Man hoffte auf ein Einlenken der nationalistischen MHP, die aber eine Koalition mit der HDP unter allen Umständen ausschloss. Es kam zur Neuwahl, bei der die AK-Partei ihre Stimmen erhöhen und weiterhin alleine regieren konnte.

Die AK-Partei hat von Anfang an den politischen Status quo der Kemalisten, der für eine Reihe von Problemen bis in die Gegenwart hinein verantwortlich ist, bekämpft.

Sicherlich kann man berechtigte Kritik an den Verfahren gegen türkische Journalisten und Politiker üben, diese werden auch in politischen Talkshows oder Zeitungen breit diskutiert. Sie belasten im großen Maß die außenpolitischen Beziehungen und den inneren Frieden. Tatsache ist aber auch, dass einige Journalisten straffällig geworden sind, aber nicht unbedingt durch ihre Berichterstattung – so wie es oft in den deutschen Medien suggeriert wird. Leider sind die Verfahren nur bedingt transparent, so dass viele Spekulatonen entstehen. Journalist zu sein, bedeutet nicht, unantastbar zu sein. Es gilt hier die Unschuldigen von den Schuldigen zu trennen. Hierfür ist eine bessere, freiere und kompetentere türkische Justiz notwendig.

Des weiteren zeigt das Verfahren gegen Mustafa Armağan, der in einer Geschichtsdebatte Dokumente über die Frauen im Leben Mustafa Kemal Atatürks offenlegte und in Folge dessen angeklagt wurde, dass die Justiz weiterhin vielfältig geprägt ist. Armağan verwendete für seine Behauptungen verschiedene Zeitungsartikel und Berichte. Diese waren zwar kontrovers und entsprachen nicht dem öffentlichen Meinungsbild, das man Jahrzehnte lang predigte, aber das müssen sie aus geschichtswissenschaftlicher Sicht auch nicht sein. Aktuell plädiert die Staatsanwaltschaft auf 4,5 Jahre Haft.

Eine Debatte lebt von Kontroversen. Diese zu tabuisieren, sollte an sich selbst ein Tabu darstellen.

Burak Altun hat Neuere und Neueste Geschichte, Politikwissenschaft und Islamwissenschaft an der WWU Münster studiert. Aktuell arbeitet er als freier Journalist für Daily Sabah.

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