Deutsch-Türken im Fadenkreuz bei Maischberger

BURAK ALTUN @burakaltun_DS
ISTANBUL
Veröffentlicht 29.04.2017 00:00
Aktualisiert 30.04.2017 14:10
(Foto: WDR/Melanie Grande)

Maischbergers Sendung am vergangenen Mittwoch stand unter dem Titel: „Türken in Deutschland: Immer noch Bürger zweiter Klasse?" Auch wenn sich die Sendung wieder mal zu einem „Erdoğan-Bashing" entwickelte, konnte man doch einiges über die persönliche Lebensrealität der Gäste erfahren.

Tayfun Bademsoy etwa, Psychologe und Schauspieler in der Serie „Traumschiff", erzählte über die Diskriminierungen, die er in der Schule erlebt hatte. Beschimpfungen wie „Kanacke" oder „Kümmeltürke" seien normal gewesen und in der Schule hätte er malen müssen, während die anderen Schüler unterrichtet wurden.

Ozan Ceyhun, der frühere Europaabgeordnete der „Grünen" und der „SPD", hätte zwar die extreme Diskriminierung in der Schule nicht mitbekommen, da er als Erwachsener nach Deutschland gekommen sei, er habe die Ausgrenzung jedoch in anderen Bereichen des Lebens kennengelernt. So wäre ihm der Eintritt in die SPD – obwohl er Sozialdemokrat sei - zunächst verwehrt geblieben, da er kein Deutscher war. Nur die „Grünen" hätten ihn akzeptiert. Für ihn sei es aber eher eine Notlösung gewesen, da er sich mit der Umweltpolitik nicht wirklich identifiziert hätte.

So weit liegt diese Zeit nicht zurück und viele der heutigen Deutsch-Türken haben diese prägende Zeit miterlebt und sie sind nachhaltig davon beeinflusst worden. Jedoch scheint die Politik nicht immer die richtigen Schlüsse aus vergangenen Fehlern ziehen zu können.

Einer der seltsamsten Momente der Show war, als Maischberger zusammenhangslos das Thema mit dem Gedicht raus kramte und sie dann Ceyhun fragte, ob er denn nicht verstehe, dass so was den Menschen hierzulande Angst mache. Es ging dabei um das Gedicht, welches Präsident Erdoğan 1997 bei einer Versammlung in der ostanatolischen Stadt Siirt vorgetragen hatte. Er zitierte Ziya Gökalp, einem intellektuellen Ideengeber der modernen Türkischen Republik, der zusammen mit Atatürk in der türkischen Nationalversammlung saß, bis er 1924 verstarb. Das gleiche Gedicht war auch in den Schulbüchern abgedruckt. Absurderweise wurde er dafür zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und verlor vorläufig sein politisches Amt.

In dem Gedicht heißt es wörtlich übersetzt: „Minaretten [sind] Bajonette, Kuppeln [sind] Helme, Moscheen sind unsere Kasernen, Gläubige [sind] Soldaten".

Für den deutschen Leser erscheint das Zitat möglicherweise befremdlich, da er in einer Gesellschaft lebt, die immer noch durch die Brutalität des Nationalsozialismus traumatisiert ist. Tugenden wie Patriotismus, Ehre oder Aufopferung sind höchst sensible Themen und werden eher mit Parteien aus dem rechtspopulistischen Spektrum in Verbindung gebracht. Natürlich schaut man dann durch dieselbe emotionale Brille, wenn es um die gleichen Tugenden in anderen Ländern geht. Doch hier liegt der Fehler: Nicht jedes Land teilt die gleiche Geschichte wie Deutschland und man muss durch diese Tugenden nicht zwangsweise in ein faschistoides Dilemma fallen. Jene Tugenden haben woanders nicht zwangsweise zu dem gleichen Ergebnis geführt. Ganz im Gegenteil: In der Türkei werden diese Tugenden hoch angesehen, als psychologisches Element, das der Nation den Geist zu Selbsterhaltung verliehen und vor der Vernichtung bewahrt hat.

Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ist für die Türkei prägend, weil dort eine Nation aus ihre Asche entstanden ist. Der Glaube gepaart mit dem Zusammengehörigkeitsgefühl der Nation führte letztendlich zur Rettung und Begründung der modernen Türkei. Daher auch die religiöse Rhetorik in den Büchern eines laizistischen Staates. Deutschland hat nach wie vor Probleme damit sich von seinem Kulturverständnis zu lösen, wodurch eine – wenigstens in den Ansätzen - relativierende Sichtweise behindert wird. Denn auch Empathie entsteht nicht einfach so.

Um jene Tugenden zu finden muss man auch nicht in den Nahen Osten reisen. Man möge sich nur mal einige Strophen der französischen Nationalhymne anschauen, da erscheint das Gedicht von Ziya Gökalp eher banal. Jeder Franzose singt jene Strophen mit stolzer Brust und bisher hat es hier niemanden ernsthaft interessiert oder gestört, so dass man es zum zentralen Thema von Diskussionen gemacht hätte.

Einige der Strophen lauten wie folgt:

„Zu den Waffen, Bürger, Formiert eure Truppen,"

„Unreines Blut Tränke unsere Furchen!"

„Heilige Liebe zum Vaterland, Führe, stütze unsere rächenden Arme." oder

„Wenn sie fallen, unsere jungen Helden, Zeugt die Erde neue, Die bereit sind, gegen Euch zu kämpfen"

Ein weiteres Thema der Debatte war die doppelte Staatsangehörigkeit. Obwohl dieses Recht den Deutsch-Türken vor kurzem erst gewehrt wurde, denkt die Politik nun über eine Rücknahme des Gesetztes nach. Im Mittelpunkt der Debatte steht hier wieder die CDU.

„Ich habe Probleme mit Menschen, die hier zu recht was in Anspruch nehmen, aber es einem anderen Land nicht gönnen. Sie wählen genau das Gegenteil wofür Deutschland hier steht.", klagte Julia Klöckner, CDU-Landeschefin von Rheinland-Pfalz. Handfeste Argumente suchte man vergeblich. Mit ihrer Haltung gegenüber der doppelten Staatsbürgerschaft stand sie auch ziemlich alleine da. Auch zeugte ihr Kommentar nicht wirklich von Faktenwissen, denn die Türkei wird nach wie vor eine demokratische Republik bleiben.

Ozan Ceyhun erwiderte, die Mehrstaatlichkeit sei eine Form der Willkommenskultur, die es auch in anderen Ländern gebe. Im türkischen Alanya am Mittelmeer, würden auch viele Deutsche leben. Er hätte nichts dagegen, dass Jene zusätzlich die türkische Staatsbürgerschaft bekommen würden, wenn es dadurch zu einer Erleichterung ihres Lebens käme. Die türkische Staatsbürgerschaft sei notwendig, um dort beispielsweise Häuser zu erwerben oder Geschäfte zu eröffnen. Klöckner konnte dem nichts außer einem Lächeln entgegnen

Auch war die „Diyanet" ein heißes Thema. Die Institution zur Verwaltung religiöser Angelegenheiten in der Türkei, wurde in der Sendung beschuldigt, ein Staatsapparat der türkischen Regierung zu sein.

Ceyhun war der Auffassung, dass „die Debatte eine künstliche Debatte" sei. „Diyanet" sei ein Instrument der Militärjunta und der Kemalisten gewesen, auch um die Türken in Deutschland zu kontrollieren. Heute hätte „Diyanet" wenig bis kaum Einfluss. Politisch sei die Institution bedeutungslos. Auch wäre Erdoğan in jener Debatte irrelevant, weil er die Integration unterstützen würde.

Erdoğan hatte sich in der Vergangenheit lediglich gegen die Assimilation ausgesprochen. Diese sei für ihn inhuman. Unverständlich ist das ambivalente Verhalten der CDU, wenn es um Themen wie religiöses Leben oder religiöse Bildung geht. Während die AK-Partei die Rechte der christlichen Minderheiten gestärkt hat und diese dort ein Leben in Augenhöhe führen können, scheint es die CDU, als – zumindest im Namen – christlich geprägte Partei, in Deutschland nicht zu schaffen, dem Islam gegenüber mehr Toleranz zu zeigen und die populistische Rhetorik – wenigstens etwas - zu mäßigen

Zu guter Letzt, kam dann auch das Referendum zur Verfassungsänderung zur Sprache. Die Türken hatten sich am 16. April mehrheitlich für das Präsidialsystem entschieden, das nun ab November 2019 Inkrafttreten soll. Der Anteil von „Ja"-Stimmen war in manchen europäischen Ländern, wie Deutschland, Österreich oder den Niederlanden, besonders groß.

Susanne Schröter, Direktorin des „Forschungszentrums Globaler Islam" an der Frankfurter Goethe-Universität, brachte dann auch direkt wieder den Vergleich zwischen den akademisch gebildeten „Nein"-Wählern und den „Ja"-Wählern der Arbeiterklasse, zur Sprache. Auch seien die einfachen Türken vom Lande anfälliger für die Politik Erdoğans. Aber wieso sollten sie es denn nicht sein? Hat er ihnen doch aus politischer Sicht mehr geboten als jede andere Partei zuvor.

Ceyhun erinnerte die Runde daran, dass es sich bei der alten Verfassung, über deren Änderung abgestimmt wurde, um ein Werk der Militärjunta von 1980 handle. „Die alte Verfassung wird hier gar nicht kritisiert, wollen sie, dass die Türken dort mit einer faschistischen Verfassung weiterleben?" fragte er in die Runde. Die neue Verfassung sei eine vom Volk legitimierte und keine auf erzwungene.

Jedoch bekam er keine Antwort darauf. Frau Maischberger fiel auch nichts Weiteres ein, als das Thema zu wechseln. Man hätte das bereits diskutiert. Fragt sich nur wann, denn erwähnt oder in den Mittelpunkt gestellt, werden scheinbar nur die Themen, die dem populistischen Element der Sendung gerecht werden.

Gegen Ende der Sendung erklärte Ceyhun, dass viele Unterstützer und Wähler Erdoğans, junge gebildete Menschen seien, die besser Deutsch könnten als er selbst. Man müsse das endlich erkennen.

Jedenfalls wäre diese Erkenntnis für Runde wünschenswert.

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