Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte am Mittwoch auf seinem Rückflug aus Aserbaidschan, dass die Türkischen Streitkräfte (TSK) zuvor gegen die Terrorgruppe PKK innerhalb der Grenzen in Syrien vorgegangen seien und sie dies im Irak gegebenenfalls erneut tun würden. Erdoğan sagte außerdem, dass Ankara weiterhin mit Teheran und Bagdad konsultiere, um die territoriale Integrität des Irak gegen mögliche Aktionen der Kurdischen Regionalregierung (KRG) zu schützen. Der Besuch des irakischen Premierministers Haider al-Abadi im letzten Monat habe der Türkei und dem Irak erlaubt, sich auf eine gemeinsame Position in Bezug auf die KRG zu einigen. Das Unabhängigkeitsreferendum hätte zugleich vereinten Widerstand von regionalen und globalen Mächten geschaffen.
Der Präsident sagte, dass die PKK-Präsenz in Sindschar während den Gesprächen mit Abadi nicht erwähnt wurde, er machte jedoch deutlich, dass der irakische Premierminister von den möglichen Maßnahmen zur Beseitigungen von Bedrohungen Seitens der Türkei Kenntnis habe. Sindschar und die Kandil-Berge gelten als die größten Ballungsorte der PKK.
Während Abadi und die Zentralregierung sich darauf konzentriert hätten, Daesh zu zerschlagen, sei die PKK bestenfalls eine zweitrangige Sorge gewesen, räumte Erdoğan ein, stellte aber zugleich klar, dass Bagdad wisse, was Ankara tun würde, wenn die Situation im Irak durch die PKK außer Kontrolle geraten sollte.
„Wir haben alle notwendigen Vorkehrungen entlang unserer Grenzen getroffen, und wenn etwas Negatives in Sindschar passiert, das unsere Sicherheit gefährdet, können wir grenzüberschreitende Operationen durchführen. Ich habe Abadi gesagt, was getan werden sollte, um ein solches Szenario abzuwenden", sagte er.
Er wies darauf hin, dass die zunehmende Bedrohung, die von der Partei der Demokratischen Union (PYD) und ihrem bewaffneten Flügel, den Volksschutz-Einheiten (YPG), in Nordsyrien ausgehe, die Türkei zum Handeln gezwungen habe. Die USA seien sich der Bedenken Ankaras gegenüber amerikanischen Waffen bewusst, die an die PKK-Ableger in Syrien geliefert werden, so Erdoğan.
„Wir entscheiden, was wir in Übereinstimmung mit den Entwicklungen tun. Warum haben wir in Dscharabulus Schritte unternommen? Weil sie die getätigten Versprechen nicht eingehalten haben", sagte er.
Die Nichteinhaltung der Versprechen habe die Türkei gezwungen, eine grenzüberschreitende Operation einzuleiten, die Dscharabulus von der PYD und der YPG befreit habe. Ähnliche Maßnahmen seien auch in al-Rai, al-Bab und mehreren anderen nordsyrischen Städten im Umfang von 2.000 Quadratkilometern ergriffen worden.
„Jetzt haben wir die Situation in Idlib. Idlib wird im Inneren von uns kontrolliert, während die Grenzen von Russland kontrolliert werden. Wir arbeiten mit Russland zusammen, diese Zusammenarbeit wird bald auch Afrin umfassen", erklärte er.
Er sagte, die YPG-Konzentration in Afrin könne bald eine Bedrohung darstellen, da die Stadt an die Türkei grenzt.
Er wies auf eine Karte der Region hin und sagte: „Sie [die PYD] behaupten, dass sie ihren Korridor zum Mittelmeer ausdehnen werden. Sie könnten dies über Afrin tun, indem sie Idlib übernehmen. Wir werden ein solches Szenario definitiv nicht zulassen."
Für diejenigen, die fragten, warum türkische Kräfte in Syrien sind, sagte Erdoğan: „Hier sind Terroristengruppen, die uns belästigen. Wir können und werden grenzüberschreitende Operationen durchführen, um all diese Bedrohungen zu beseitigen." Dies sei die einzige Antwort, die man darauf geben kann.
Die Türkei hat die US-Waffenhilfe für die YPG, die offen ihre Loyalität gegenüber dem inhaftierten Führer der PKK, Abdullah Öcalan, bekundet, kritisiert. Die PKK wird von den USA und der EU als terroristische Gruppe eingestuft.
Der Präsident zeigte auf der Karte, in welchem Ausmaß Daesh zurückgedrängt wurde. Die Regionen seien aber danach durch andere Terroristengruppe besetzt worden. Es handele sich dabei größtenteils um die PKK-Ableger PYD und YPG.
„Sie sagten uns, dass die YPG sich irgendwann zurückziehen wird. Sie sagten uns, wir sollten uns keine Sorgen machen. Nun ist Manbidsch unter ihrer Kontrolle, genauso wie viele andere Regionen mit arabischer Bevölkerungsmehrheit in Nordsyrien auch", sagte er.
Zusammenarbeit gegen KRG
„Nach Abadis Besuch begann der Prozess der Peschmerga, zur Übergabe des Grenztores von Khalil Ibrahim an die Kräfte der Zentralregierung. Es wird ein paar Tage dauern, bis wir zum Abschluss kommen. Unser 2. Armeekommandeur ist da, um alle Entwicklungen zu verfolgen, so auch der irakische Stabschef."
Er sagte, dass eine direkte Verbindung zum Irak, unabhängig von der KRG, wichtig sei, um humanitäre Hilfsgüter liefern zu können. Die gesamte humanitäre Hilfe würde über die zentrale irakische Regierung bereitgestellt, sagte Erdoğan.
Das Schicksal der Turkmenen im Nordirak sei hier ein besonderes Anliegen der Türkei.
„Wir wollen, dass Turkmenen aus Tal Afar in ihre Heimat zurückkehren. Es gibt mehr als 400.000 Turkmenen, von denen die Hälfte Sunniten und die andere Hälfte Schiiten sind. 100.000 von ihnen flohen aufgrund von Daesh-Offensiven nach Norden in die Türkei und weitere 100.000 in den Süden. Wir wollen, dass alle von ihnen nach Hause zurückzukehren. So wird es hoffentlich keine sunnitisch-schiitische Spaltung geben."
Zum Rücktritt von KRG-Präsident Masoud Barzani sagte Erdoğan: „Wir werden sehen, was passiert. Ich hoffe, das wird eine Einigung mit der Zentralregierung ermöglichen können. Wir glauben, dass dies das einzige ist, was dem Irak zugutekäme. Schauen Sie sich einmal an, was in Spanien passiert ist. Derjenige, der die ganze Angelegenheit geleitet hat, ist aus Spanien geflohen. Und wohin geht er? Nach Belgien."
Sobald die Anwesenheit von Daesh in Syrien und im Irak beendet ist, sei es wichtig, wo die Militanten danach hingehen und was sie zurücklassen.
„Es gibt noch ungefähr 2000 Militante im Irak. Mit anderen Worten, sie sind fast am Ende. Wir wissen nicht, wohin sie danach fliehen werden - Afrika, die USA oder Europa? Wir werden es sehen."
Lokale Terroristengruppen wie die al-Nusra Front würden danach näher in den Fokus rücken. Im Gegensatz dazu sei die Anzahl der einheimischen Daesh-Mitglieder unbedeutend.
„Wir wollen, dass die Freie Syrische Armee (FSA), die wir unterstützen, das gesamte Land, das von den terroristischen Gruppen besetzte wurde, wieder zurückgewinnt", so Erdoğan.
Die Fertigstellung der Baku-Tiflis-Kars-Eisenbahnstrecke, die von Erdoğan und seinen Amtskollegen aus Aserbaidschan und Georgien am Montag eingeweiht wurde, schaffe eine direkte Verbindung von der Türkei nach Kasachstan. Ziel sei es, die Bahnstrecke bis nach London zu erweitern.
Auf dem 6. Treffen des hochrangigen Strategischen Kooperationsrates am Dienstag zwischen der Türkei und Aserbaidschan, hätten die beiden Länder vereinbart, die Zusammenarbeit auf Bildung, Handel, Industrie und einige andere Bereiche auszuweiten.
Ein weiteres Ziel sei die Erhöhung des bilateralen Handelsvolumens von 1,6 Milliarden US-Dollar, ohne Berücksichtigung von Öl und Ölprodukten, auf jährlich 5 Milliarden US-Dollar.
Auch seien bedeutende Fortschritte bei der Beseitigung der Gülenisten-Terrorgruppe (FETÖ) in Aserbaidschan erzielt worden.
„Die Türkei wird sich auch weiterhin solidarisch zu Aserbaidschan zeigen, um den Bezirk Karabach von Armenien zurückzuerlangen. Ich werde mit dem russischen Präsidenten Putin über die Angelegenheit sprechen, wenn wir uns nächste Woche oder in der darauf folgenden Woche treffen. Seine Haltung ist hierbei sehr wichtig. Wenn er sich wirklich auf diese Angelegenheit konzentriert, wird es leicht zu lösen sein."
AK-Partei Reformen
Im Hinblick auf die Verjüngung der regierenden „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" (AK-Partei) sagte Erdoğan, man wolle sich auf die für 2019 anstehenden Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vorbereiten.
„Alle Schritte sollten unter diesem Licht betrachtet werden", sagte er in Bezug auf die Rücktritte mehrerer Bürgermeister in den letzten Wochen.
Auf die Frage, ob die Bürokratie einen ähnlichen Verjüngungsprozess benötige, zitierte Erdoğan das Gesetz 657, das die Arbeit eines Beamten garantiert.
„Unter einem solchen Gesetz kann man nur einen Beamten versetzen, was kaum eine grundlegende Veränderung ist", sagte er.
Er erklärte, dass eine solche Verjüngung eine Mehrheit im Parlament erforderlich mache, von der er hoffe, sie bei den Wahlen 2019 zu erreichen.
Der Präsident sagte, Premierminister Binali Yıldırım und das Kabinett seien für die Ernennung des Leiters des Staatsfonds verantwortlich.
„Ich hoffe, dass die Ernennung bald stattfinden wird." Er unterstrich, dass der derzeitige amtierende Leiter, Himmet Karadağ, wahrscheinlich in der Lage sein werde, den Posten zu übernehmen.