UETD-Vizevorsitzender Fatih Zingal: Mehrheit des türkischen Volkes wird sich beim Referendum für Stabilität und Kontinuität aussprechen

Daily Sabah

In einigen Wochen ist es endlich soweit. Das seit Monaten in der Türkei bestrittene Referendum zur Verfassungsänderung und zur Einführung eines Präsidialsystems findet am 16. April statt.

Doch das Interesse bei diesem Volksentscheid ist nicht nur bei den türkischen Bürgern sehr groß, sondern sind auch viele europäische Länder gespannt auf das Ergebnis.

Wird die Türkei weiterhin mit einer Verfassung regiert, die nach einem Militärputsch ratifiziert wurde und bei dem das Parlament eine sehr lahme Funktion hat, oder wird das Volk für die Änderungen stimmen und sich für die Stabilität der Türkei, der türkischen Justiz und des Parlaments entscheiden?

Diese Frage wird zwar bis zum Abend des 16. Aprils unbeantwortet bleiben, jedoch weiterhin ein wichtiges Diskussionsthema für viele Kreise sein.

Bezüglich den angespannten Beziehungen und Europas großes Interesse bei der Verfassungsänderung, traf sich die Daily Sabah für ein Exklusivinterview mit dem türkischstämmigen Juristen und Vizevorsitzenden der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) Fatih Zingal.


Daily Sabah: Kurz zu Ihrer Person Herr Zingal. Sie sind 1979 in Solingen geboren und studierten Rechtswissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seit 2015 sind Sie stellvertretender Vorsitzender der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) und leiten das Kompetenzzentrum Politik.

Seitdem die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland angespannt sind, treten Sie nicht nur des Öfteren im Fernsehen auf, sondern werden auch in den sozialen Netzwerken tausende Mal geteilt.

Was führte Sie zu diesen TV-Auftritten, was beabsichtigen Sie damit?

Fatih Zingal: Meine Intention bei diesen TV-Auftritten und meiner Öffentlichkeitsarbeit ist die, dass ich mich verpflichtet fühle eine Brückenfunktion aufzubauen, sowohl zwischen den beiden Staaten Deutschland und der Türkei, als auch und vor allen Dingen ein Sprachrohr für die Deutschtürken und den in Europa lebenden Türken zu sein. Wenn man sich die deutsche Medienlandschaft nämlich anschaut, wird so getan als ob die Meinung, die wir vertreten eine marginale Meinung wäre. Wir wissen alle, dass der weit überwiegende Anteil der Menschen in Europa konservativ und liberal-bürgerlich ist. Und dieses Lager macht circa 70 Prozent aller europäischen Türken aus. Genau für die möchte ich eine Stimme sein.

D.S.: Wie würden Sie die aktuellen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei bezeichnen? Glauben Sie, dass sich diese belastenden Beziehungen wieder verbessern?

F.Z.: Im Moment, anders kann man es nicht formulieren, ist die Situation äußerst angespannt. Innerhalb dieser angespannten Lage sind wir immer weiteren Belastungsproben ausgesetzt. Es ist eine Situation die insbesondere für die Auslandstürken mit Sorge beobachtet wird. Ob das Verhältnis der beiden Länder sich wieder normalisiert, muss beobachtet werden, allerdings darf man auch folgendes nicht vergessen: Wir befinden uns gerade sowohl in Europa als auch in der Türkei in einem Wahlkampf, wo Eskalationrhetorik leider meistens überhand gewinnt. Ich möchte auf ein Beispiel hinweisen, nämlich die Beziehung zwischen Russland und der Türkei. Es ist noch kein Jahr her, da gab es Boykotte seitens der russischen Regierung. Touristen sind nicht in die Türkei gereist. Ein Militärflugzeug wurde abgeschossen. Es gab sogar Stimmen aus der russischen Politik, dass man Istanbul innerhalb von eineinhalb Stunden dem Erdboden gleich machen könne. Was sehen wir jetzt? Erst vor kurzem hat Wladimir Putin gesagt, dass die Türkei der wichtigste Partner Russlands sei. Das heißt, wenn man will kehren die Staatschef und die Länder zum Pragmatismus zurück. Und das ist meine Hoffnung für Deutschland und der Türkei.

D.S.: Bei dem Verfassungsreferendum im Jahr 2010 stimmten 58 Prozent der türkischen Wähler mit einem „Ja". Nun wird im April erneut für ein Änderungspaket das 18 Punkte beinhaltet abgestimmt. Was glauben Sie wird die Entscheidung des Volkes sein?

F.Z.: Ich glaube, dass die Mehrheit des türkischen Volkes, sich für Stabilität und Kontinuität aussprechen wird. Es steht keine Person zur Wahl, sondern ein Systemwechsel. Dieser Systemwechsel wird schon über Jahre in der Türkei diskutiert. Die ehemaligen Staatspräsidenten Süleyman Demirel und Turgut Özal haben auch über einen möglichen Systemwechsel diskutiert. Nehmen sie die elf Jahre vor der Amtsübernahme durch die AK-Partei von 1991 bis 2002. Also in elf Jahren gab es neun verschiedene Koalitionsregierungen. Ich denke die Türkinnen und Türken werden sich für eine stabilere Türkei und auch für die Zukunft entscheiden.

D.S.: Sie selber sind Jurist und haben die zur Abstimmungen gestellten Punkte der Verfassungsänderung gelesen und bewertet. Warum glauben Sie, dass das türkische Volk mit einem „Ja" stimmen und die Änderungen veranlassen sollte, welcher Punkt ist für Sie der wichtigste?

F.Z.: Der wichtigste Punkt ist, dass die Türkei Jahrzehnte als parlamentarische Demokratie die Staatsform gewählt hat. Wir haben gesehen, dass die parlamentarische Demokratie in der Türkei nicht zu stabilen Verhältnissen führt. In 93 Jahre Geschichte gab es 65 verschiedene Regierungen. Es gab Streit zwischen Staatspräsident und Ministerpräsident. Es gab unstabile Verhältnisse in all den Jahren, die auch zu wirtschaftlichen Krisen geführt haben. Aufgrund dieser Konsensunfähigkeit innerhalb der türkischen Politik, ist eine Präsidialdemokratie nach US-amerikanischen oder französischem Vorbild, aller Voraussicht nach die beste Staatsform für die Türkei. Selbstverständlich ist die Präsidialdemokratie, so wie sie in der Türkei zur Abstimmung steht, eine [Präsidialdemokratie] nach türkischen Bedürfnissen. Sie hat Vorteile und sie hat auch Nachteile aber wenn sie das alles mit einem Beispiel aus den Vereinigten Staaten vergleichen wollen: In den Vereinigten Staaten gibt's das Prinzip, „The Winner Takes It All". Kleine Parteien haben überhaupt keine Chance vertreten zu sein. Aber in der Türkei schon. Ins Parlament werden auch kleinere Parteien einziehen können. Zumal auch die Abschaffung der zehn Prozent Hürde in Diskussion steht.

D.S.: Was würde bei einem „Nein"-Ergebnis passieren?

F.Z.: Bei einem „Nein"-Ergebnis wird die Türkei eine parlamentarische Demokratie bleiben. Alle Politiker betonen, unabhängig von welchem Lager, dass das Volk entscheiden müsse. Wenn das Volk so entscheidet, dann wird das von jeder Seite akzeptiert.

D.S.: In Frankreich kandidiert die rechtspopulistische Marine Le Pen. In den Niederlanden bestand bis vergangene Woche die Gefahr, dass der rassistische Geert Wilders gewählt wird. Und in Deutschland werden in vier Monaten die Bundeswahlen stattfinden. Jedoch ist deutlich bemerkenswert, dass sich alle europäischen Politiker und Medien seit Monaten nur für das Referendum in der Türkei interessieren.

Wieso sind Europäer gegen die Verfassungsänderung, wieso interessieren sie sich so sehr dafür?

F.Z.: Es werden immer wieder Aspekte wie Menschenrechte, Demokratie etc. ins Feld geführt. Aber die meisten Türken sehen zum Beispiel, wie Putschgeneräle wie Abd al-Fattah as-Sisi aus Ägypten, auf einmal hofiert werden, obwohl er nicht demokratisch gewählt wurde sondern durch einen Putsch an die Macht kam. Er wird aber nicht dafür kritisiert, für das was er getan hat. Sie erkennen beispielsweise auch, dass der Putschgeneral Kenan Evren, 1988 in Deutschland mit offenen Armen empfangen wurde. Weil diese Menschen das sehen, denken Sie sich, dass es hier gar nicht um Menschenrechte und Demokratie geht, sondern vielmehr um geopolitische und wirtschaftliche Interessen. Das ist der Eindruck, der innerhalb der türkischen Bevölkerung besteht.

D.S.: PKK-Sympathisanten veranstalteten am Wochenende erneut eine Versammlung in Frankfurt und demonstrierten mit verbotenen PKK-Fahnen und Flaggen des Terroristenanführer Öcalans. Was sagen Sie zu dieser doppelmoralischen Haltung der deutschen Behörden?

F.Z.: Die Bilder die wir aus Frankfurt sahen, haben natürlich zu großem Befremden, zu großen Irritationen innerhalb der deutsch-türkischen Community geführt, da erst vor kurzem das Innenministerium es verbot, die PKK-Flaggen und Portraits eines Terror-Anführers zu zeigen. Sie denken sich, deutsche Gesetze gelten in Deutschland und zwar für Jedermann. Genau das können Sie sich nicht erklären, wieso diese Gesetze nicht umgesetzt und durchgesetzt wurden.

D.S.: Wie bewerten Sie die Daily Sabah?

F.Z.: Ich verfolge die Daily Sabah soweit ich kann und ich bin der Meinung, dass sie ein gutes Medienorgan ist um für Meinungsvielfalt zu sorgen.


Am 16. April wird das türkische Volk über eine Verfassungsreform abstimmen. An dem Referendum können sich auch im Ausland lebende wahlberechtigte Türken beteiligen, darunter rund 1,41 Millionen Türken in Deutschland. Diese werden bereits zwischen dem 27. März und dem 9. April in türkischen Konsulaten ihre Stimme abgeben können.

Die derzeitige türkische Verfassung wurde noch von der Militärregierung nach dem Putsch im Jahr 1980 ratifiziert.

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