Deutschtürken sehen Deutschland für Spannungen verantwortlich
- ALI ÜNAL, BERLIN
- Mar 11, 2017
Inmitten den derzeitigen Auseinandersetzungen zwischen Ankara und Berlin, die mit den Verboten türkischer Minister in Deutschland anfingen, beschuldigen die Türken in Deutschland die deutsche Regierung für die eskalierende Spannung zwischen den beiden Ländern. Deutschland, wo mehr als drei Millionen Türken leben, ist der größte Handelspartner der Türkei. Darüber hinaus verbringen jedes Jahr fast sechs Millionen Deutsche ihren Urlaub in der Türkei. Trotz diesen starken Bindungen verschlechterten sich die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern nachdem Deutschland auf eine undemokratische Weise die Auftritte der türkischen Minister verbat. Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu sagte, dass die Bemühungen Deutschlands, diese Auftritte zu verhindern, Teil eines Planes sind, auf die türkischen Staatsbürger in Deutschland Druck auszuüben.
„Dies ist eine systematische Behinderung und Deutschland übt systematischen Druck auf unsere Bürger aus. Dies ist unakzeptabel. Wir wollen Deutschland als einen Freund sehen, aber Deutschlands systematischer anti-türkischer Ansatz passt nicht zu unserer Freundschaft", erklärte Çavuşoğlu am 7. März.
Der Deutschtürke Ekrem Korkmaz (46) stimmt Çavuşoğlu zu. „Ich lebe seit 20 Jahren in Deutschland und der deutsche Druck auf der türkischen Gemeinschaft ist nicht neu. Der deutsche Staat sieht uns als eine Bedrohung an, da wir einen starken Wunsch haben, unsere Kultur, Sprache und Religion zu bewahren", sagte Korkmaz, während er an seinen Tee in einem schicken Caféhaus in Neukölln, Berlin, nippte. „Der deutsche Staat wollte die Türken in Deutschland schon immer assimilieren, sie denken nie an eine Integrationspolitik", fügte er hinzu.
Eine neue statistische Umfrage Deutschlands, Datenreport 2016: Sozialer Bericht für die Bundesrepublik Deutschland zeigte, dass Ekrem Korkmaz recht hat. Nach den Ergebnissen, stimmen 51 Prozent der Befragten, dass „als ethnischer Türke, man sich wie einen Bürger zweiter Klasse fühlt", während 54 Prozent der Befragten für „egal, wie hart ich es auch versuche, werde ich nicht als Mitglied der deutschen Gesellschaft akzeptiert" stimmten.
Eine weitere Deutschtürkin, Oya Güven, eine Kindergartenerzieherin, hat eine andere Perspektive. Güven glaubt, dass die konservative CDU der Bundeskanzlerin Angela Merkel derzeit an Macht verliert und dass die Regierung Merkels absichtlich die Spannungen mit der Türkei erhöht hat, um den Schwund an Stimmen zu stoppen. „Wie sie wissen, gibt es im September allgemeine Wahlen und der Aufstieg der anti-Immigranten Alternative für Deutschland (AfD) sorgte für tiefe Besorgnis für Merkels Partei. Ich glaube, dass Merkel versucht die rechten Stimmen für sich zu gewinnen, indem sie die anti-Türkei-Stimmung anfacht", sagte Güven im berühmten Restaurant Tadım in Kreuzberg. In der Tat zeigen die jüngsten Umfragen, dass Merkels CDU an Stimmen verliert. Die Ipsos-Umfrage zeigte am 8. März, dass die Konservativen und die Sozialdemokraten (SPD) sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen bieten, wobei die AfD auf elf Prozent anstieg.
Deutschland ist die führende Wirtschaftskraft in der Europäischen Union und das Land zeigt sich als Verteidiger der westlichen Werte. Doch die deutsche Arroganz, die versucht andere Länder über demokratische Werte zu belehren, vergiftet nicht nur die türkisch-deutschen bilateralen Beziehungen, sondern isoliert auch Deutschland innerhalb Europa. „Wenn Frau Merkel aus der Glasschachtel des Kanzleramts in Berlin blickt, sieht sie an jedem Horizont Schwierigkeiten. Im Osten sind die immer autoritärer und germanophoben Regierungen Polen und Ungarn", schriebt Gideon Rachman für die Financial Times am 6. März. „Und weiter im Osten ein feindliches Russland.
Im Westen sind die USA von Donald Trump, im Norden Großbritannien mit ihrem Brexit und im Süden liegen Italien und Griechenland, zwei beunruhigte Länder, die Deutschland für ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten immer mehr verantwortlich machen", fügte Rachman hinzu. Einige glauben, dass die Spannungen zwischen den beiden Ländern ein Spiegelbild der uralten Turkophobie in Deutschland ist. „Die Deutschen haben die Türken immer als zweitklassige Menschen angesehen. Daher können sie die Kritik von Präsidenten (Recep Tayyip) Erdoğan und seine Aufrufe für eine gleichberechtigte Partnerschaft nicht akzeptieren", sagte Mehmet Parlak (37). „Natürlich wollen sie [die Deutschen] nicht die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei. Schauen Sie sich den Flughaften Tegel an: Es ist eine Schande für Deutschland. Die Türkei baut derzeit den weltweit größten Flughafen, während sie nicht in der Lage sind, einen modernen Flughafen in ihrer Hauptstadt zu bauen", sagte der türkische Geschäftsmann Necati Çınar, während er auf seinen Rückflug nach Istanbul wartete.
Die deutschen Regierungsstatistiken zeigen, dass 2016 91 Moscheen im Land angegriffen wurden und im September Bombenangriffe auf eine Moschee und ein Kongresszentrum in der ostdeutschen Stadt Dresden ausgeführt wurden. Steigende anti-islamische und anti-türkische Stimmungen sind in Deutschland eine bedauerliche Tatsache. Dies macht sich auch bei Mitgliedern verschiedener Migrantengruppen spürbar. „Die deutsche Presse stellt den türkischen Präsidenten Erdoğan seit vielen Jahren als Teufel dar. Ich verstehe nicht, warum die deutschen Medien so besessen über Erdoğan und die Türkei sind", sagte der russisch-deutsche Taxifahrer Igor Lebedew (46). „Wenn Deutschland ein ernsthafter Verteidiger der westlichen Werte wäre, würden sie auf die Menschenrechtsverletzungen in Russland achten. Aber sie kritisieren nur die Türkei und verschließen ihre Augen gegenüber Russland, Ungarn oder anderen Teilen Europas", fügte Lebedew hinzu.
Dennoch sind Muslime und Türken nicht die einzige Gruppe in Deutschland, die Bedenken über den steigen Faschismus im ganzen Land hat. Beispielsweise im vergangenen Januar sagte der Anführer der Jüdischen Gemeinde Hamberg, Daniel Killy, der Jerusalem Post: „Wir fühlen uns hier nicht mehr sicher." Er erklärte weiterhin, wie eine Kombination von rechtsextremen Kräften und die Verschlechterung der Sicherheit zu steigenden Hass für Juden und zu Antisemitismus führen.
Alle diese besorgniserregenden Trends und die laufende anti-türkische Propaganda können die Verbundenheit der Deutschtürken zur Türkei nicht verhindern. „Ich bin ein Sohn der ersten Generation einer türkischen Familie und wurde in Deutschland geboren. Obwohl ich ein deutscher Staatsbürger bin, ist das Türkisch-Sein mein Erbe und Verleumdungen gegen die Türkei können meine Gefühle nicht verändern", sagte der Ingenieur Serhat Demir (27) bei seinem Einkaufsbummel im KaDeWe. „Ich bin deutscher Staatsbürger und bin nicht berechtigt, bei dem kommenden türkischen Referendum zu stimmen. Ich werde aber nach all diesen Vorfällen auf jeden Fall an dem Auftritt des Präsidenten Erdoğan in Deutschland teilnehmen", sagte Demir.