Der AfD soll Social Media reichen - keine Journalisten nötig
- REUTERS, BERLIN
- Nov 20, 2016
Vergangenen Montag feierte die AfD ihren 300.000sten "Like" - also Zustimmung - im sozialen Netzwerk Facebook. Damit hat die AfD mehr Likes als SPD und CDU, die zusammen auf nicht einmal 240.000 Likes kommen. Rund 300.000 Likes mögen sich angesichts von knapp 62 Millionen Wahlberechtigten nicht besonders beeindruckend anhören. Allerdings teilen viele Facebook-Nutzer "Posts" mit anderen. Die Reichweite erhöht sich durch diese Multiplikation drastisch und kann mit der Verbreitung auch großer Zeitungen und Sender mithalten.
Die AfD-Pressestelle und AfD-Politiker sind auch auf Twitter aktiv. Das jüngste Produkt ist "AfD-TV", ein YouTube-Kanal mit selbst gefertigten Videos. Kritiker warnen allerdings, die von der AfD bejubelten hohen Zahlen an Likes oder Followern könnten manipuliert sein. Mit ihren Internet-Auftritten liegt die AfD im Trend. Nach einer Untersuchung von ARD und ZDF sind die Deutschen im Schnitt jeden Tag zwei Stunden und acht Minuten online - 20 Minuten mehr als 2015. Die Gruppe der 14- bis 29-Jährigen ist dieses Jahr über vier Stunden pro Tag im Internet unterwegs.
Umgehung von "Gate-Keepern" durch Soziale Medien
"Gerade die sozialen Medien geben die Möglichkeit, ohne journalistischen Filter, ohne Gate-Keeper-Funktion Sachen öffentlich zu machen, die man sonst nicht in den konventionellen Medien unterbringt", erklärt der Berliner Medienwissenschaftler Joachim Trebbe. "Der sogenannte Kleine Mann, die schweigende Minderheit, kommt dort nicht mehr zu Wort, wird vermutet." Der Vorwurf laute, die Berichterstattung sei einseitig, zu ausländerfreundlich oder hebe zu stark auf konventionelle Meinungs- und Willensbildungsprozesse ab. Deswegen versuche man, eine Art Gegenöffentlichkeit zu schaffen.
Im Internet bleiben die AfD-Anhänger weitgehend unter sich. Forscher nennen das Phänomen Filterblase und meinen damit, dass den Nutzern nur Informationen angeboten werden, die ihren Vorlieben entsprechen. Ein Algorithmus - also eine automatisierte Auswahl - stellt fest, was der Nutzer am liebsten liest und bietet ihm entsprechende Links an. Forscher warnen, dadurch werde die Auseinandersetzung mit anderen Ansichten verhindert. Die Folge sei die Gefahr einer Radikalisierung.
Der Erfolg der AfD im Internet hat nach Trebbes Ansicht auch mit der Stigmatisierung der Partei zu tun: "Das Verteufeln der rechtspopulistischen Bewegung als Nazis in der Anfangszeit hat dazu geführt, dass die in einer Opferrolle eine Art kommunikativer Avantgarde gegründet haben." Die ARD zum Beispiel hat ihre Berichterstattung überdacht und verzichtet darauf, die AfD stets mit dem Attribut "rechtspopulistisch" zu belegen. Teile der Zuschauer hätten dies als Bevormundung empfunden, was nicht dem Anspruch der Tagesschau entspreche, begründet der Sender den Schritt. Der Deutsche Journalistenverband ruft dazu auf, "ohne Schaum vor dem Mund" über die AfD zu berichten.
Soziale Medien spielten grosse Rolle im US-Wahlkampf
Soziale Medien haben im US-Wahlkampf eine große Rolle gespielt. Facebook-Chef Mark Zuckerberg wird vorgeworfen, über seine Firma seien Falschmeldungen verbreitet worden, die den Wahlausgang zugunsten Donald Trumps beeinflusst hätten. Dies sei "extrem unwahrscheinlich", erklärte Zuckerberg. Facebook sei eine "Technologie-Firma und kein Medien-Unternehmen".
Der US-Wahlkampf zeigt auch, dass konventionelle Medien nach wie vor eine wichtige Stütze der Parteien sind. "Oppositionelle Gruppen müssen letztendlich irgendwann versuchen, auch konventionelle Medien zu beherrschen", sagt Trebbe. Dort werde immer noch die größte Reichweite erzielt. In den USA zählt der TV-Sender Fox News zu den Unterstützern Trumps. Bedingungslos hinter ihm steht auch das Newsportal breitbart.com, dem rassistische Tendenzen vorgeworfen werden und dessen Ex-Chefredakteur Stephen Bannon zum Chefberater Trumps aufgestiegen ist. Beiden halten Kritiker vor, einen tendenziösen Kampagnen-Journalismus zu betreiben.
Möglicherweise entzieht die Europäische Union Schlammschlachten im Internet den Boden. Derzeit wird die Richtlinie für audiovisuelle Medien diskutiert. Dabei geht es um die Frage, ob Plattform-Betreiber wie Facebook nicht Hörfunk und Fernsehen gleichgestellt werden müssten. Dann könnten sie für die von ihnen verbreiteten Inhalte haftbar gemacht werden. Für Bundesjustizminister Heiko Maas ist klar: "Nach meiner Meinung sind sie wie Medien zu behandeln."