Seehofer lässt auf Islamkonferenz Schweinefleisch servieren – Provokation oder Respektlosigkeit?
- BURAK ALTUN, ISTANBUL
- Nov 30, 2018
Mhh lecker - dachten sich wohl Herr Seehofer und der ein oder andere Islamkritiker, als die Blutwurst-Häppchen ungekennzeichnet durch die Runde gereicht wurden. Unwissenheit? Provokation? Oder ein kulinarische Andeutung für das neue Islam-Modell, das der Innenminister mit Unterstützung von Özdemir, Ateş und Co anstrebt? Jedenfalls soll dies nicht zum ersten Mal bei der Deutschen Islamkonferenz (DIK) vorgekommen sein, wie verschiedene Teilnehmer übereinstimmend berichteten. Was kommt als nächstes? Der Spanferkel?
Möglich wäre es. Denn Seehofer scheint hier in etwa so viel Weitsicht zu besitzen wie ein Maulwurf bei Tageslicht - nämlich gar keine. Darüber hinaus veranschaulicht das Schweinefleisch auf dem Buffet, wie wenig Respekt man von staatlicher Seite gegenüber den praktizierenden Muslimen entgegenbringt. Ähnliches wäre bei einem Treffen mit dem Zentralrat der Juden sicher nicht passiert. Beim Verhalten gegenüber Muslimen scheint es jedoch keine sonderlich großen Schranken zu geben. Ganz im Gegenteil: Der als „traditionell" bezeichnete Islam steht heute immer mehr im Fadenkreuz verschiedener politischer Initiativen, die gerne selbst bestimmen würden, wie ein Muslim zu sein und zu leben hat. Dabei bezeichnet „traditionell" nichts anderes als ein authentisches Islamverständnis, das aus einem gemeinsamen Konsens an religiösen Geboten und Pflichten hervorgeht, sich aber zugleich offen für theologische Diskussionen gestaltet und vielfältig geprägt ist. Im Gegensatz dazu versucht Seehofer mit seiner islamkritischen Truppe eine Utopie von einem entleerten Glauben durchzusetzen. Also einen Islam, der nicht mehr sinngebender Mittelpunkt des Lebens sein soll, sondern eine Randerscheinung im Stil einer spirituellen Yoga-Gruppe.
Um das durchzusetzen wird das Bild von vermeintlich rückständigen und nicht integrationsfähigen Muslimen gemalt, denen sich angeblich fortschrittliche Muslime entgegenstellen. Das Problem: Das was man als Gegenmodel zu etablieren versucht, fußt auf keinen klaren Definitionen, eher auf unausgefüllten Begriffen. Mit Schlagwörtern wie „Demokratie" und „Freiheit", die sich auch in der Rhetorik der neu gegründeten „Initiative Säkularer Islam" wiederfinden lassen, wurden bereits Kriege rechtfertigt, aber Freiheit und Demokratie herrschte danach meistens immer noch nicht. Die Schlacht gegen den sogenannten „traditionellen Islam", der mit derselben Rhetorik geführt wird, dürfte ebenso mehr Schaden anrichten als tatsächlich irgendwas zum Guten zu wenden. Der Feldzug wird zudem von Personen angeführt, die sich nicht gerade großer Beliebtheit bei den Muslimen erfreuen können, weil ihre Haltung und Sprache als höchst provokant und undifferenziert aufgefasst wird. Auch handelt es sich bei den Initiatoren um keine echte Islamexperten, so wie man sie gerne öfters in den Medien präsentiert. Es sind Laien, die aus unterschiedlichen Bereichen stammen. Weder Cem Özdemir, noch Seyran Ateş oder Hamed Abdel-Samad scheinen geeignet, um bei einem so sensiblen Thema die Speerspitze irgendeiner religiösen Initiative zu bilden.
Derartige Anstrengungen sind von Anfang an zum Scheitern verurteilt und werden am Ende die gesellschaftliche Spaltung und Polarisierung vorantreiben – statt diesen Tendenzen entgegenzuwirken. Große Teile der deutschen Politik und Öffentlichkeit scheinen sich immer noch schwer damit zu tun, zu begreifen oder einzusehen, dass das muslimische Leben in Deutschland, auch das von den als „traditionell" kategorisierten Muslimen, vielfältiger ist, als man zu verstehen vermag. Durch diese Unwissenheit entstehen eine Reihe fehlerhafter Kausalschlüsse, die zu keiner wirklichen Problemlösung führen. Dem Unvermögen zu verstehen oder zu akzeptieren, liegt wohl eine zwanghafte Vereinheitlichung der Welt zugrunde, die nicht nur auf die Religiosität abzielt.
Hierzu hat Thomas Bauer, Professor für Islamwissenschaft und Arabistik an der WWU Münster, in den letzten Jahren sehr interessante Gedanken verschriftlicht. Er spricht von einer „Vereindeutigung der Welt" und veranschaulicht, wie Vielfältigkeit in der Gesellschaft immer wieder suggeriert wird, die Menschen sich aber in Wirklichkeit immer mehr angleichen. Menschen neigen dazu, alles in Kategorien zu stecken und verlangen nach Eindeutigkeit. So sind auch die Anstrengungen zur Schaffung des deutschen Moslems zum Teil auch eine Auswirkung derartiger Tendenzen.
Der Vorzeigemuslim, so wie ihn Seehofer und Co. gerne haben würden, ist wahrscheinlich einer, der sich kulturell zu hundert Prozent der Mehrheitsgesellschaft anpasst - das gleiche konsumiert, sich genauso anzieht, die gleiche Art von Frömmigkeit besitzt – am besten genauso ist wie sie. Dies erscheint wiederum höchst ambivalent, da auf einer Seite Pluralität und Toleranz als Vorzeigewerte der abendländischen Kultur hochgehalten werden, man auf der anderen Seite aber alles dafür tut, um kulturelle Diversitäten zu minimieren - als ob Diversität das Zusammenleben gefährden oder beschränken würde.
Ein traditionell geprägter Islam ist unpolitisch, freiheitlich und vielfältig. Fundamentalistische Ideologien sind als reaktionäre Entwicklungen auf den imperialistischen Westen entstanden und sind folglich ein Phänomen der Neuzeit. Daher hat Thomas Bauer absolut Recht, wenn er schreibt, dass die in Bezug auf Terrororganisationen wie Daesh verwendete Phrase „Zurück ins Mittelalter" eine totale Fehldeutung der Geschichte des islamischen Kulturraums darstellt. So ist auch die Verbreitung des Islams in den ersten Jahrhunderten maßgeblich durch verschiedene sufistische Strömungen bedingt, deren Kern Werte wie Liebe, Toleranz, Barmherzigkeit und Solidarität bilden – frei von auferlegten Zwängen.
Burak Altun hat Neuere und Neueste Geschichte, Politikwissenschaft und Islamwissenschaft an der WWU Münster studiert. Aktuell arbeitet er als freier Journalist und studiert Wissenschaftsphilosophie.