Würdigung für Fuat Sezgin - Frankfurter Universität bleibt stumm
- DAILY SABAH, ISTANBUL
- Jul 03, 2018
Es hat einige Tage gedauert bis in der deutschen Presselandschaft die ersten Beiträge zur Würdigung des kürzlich in Istanbul verstorbenen Orientalisten Prof. Dr. Fuat Sezgin ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben.
Die Beachtung beschränkt sich jedoch größtenteils auf die Frankfurter Presse – die Frankfurter Allgemeine Zeitung sowie die Frankfurter Rundschau. In der Uni Frankfurt beschränkt sich die Würdigung auf eine Anzeige von Angehörigen des Instituts für Studien der Religion und Kultur des Islam.
Sezgin hatte sein Leben der Wissenschaft, insbesondere der Erforschung der Wissenschaftsgeschichte, und den vielfältigen historischen Verbindungen zwischen orientalischen und abendländischen Kulturen gewidmet. Der Großgelehrte verbrachte die meiste Zeit im Arbeitszimmer seiner Bibliothek oder in Archiven, wo er zahlreiche wissenschaftliche Beiträge zur islamischen Wissenschaftsgeschichte verfasste. Viele moderne Erkenntnisse zur islamischen Geschichte sind seiner Arbeit zu verdanken. Seine Bände, die er unter großem Zeit- und Arbeitsaufwand erstellte, gelten schon längst als internationale Standartwerke.
Rainer Hermann von der FAZ schreibt, dass es keine Bibliothek mit Manuskripten aus der islamischen Welt gibt, in der Fuat Sezgin nicht geforscht hätte. Sezgin, so schreibt Hermann, „ließ auf der Grundlage der Manuskripte achthundert Objekte nachbauen, die überzeugend illustrieren, welches überragende Niveau die arabisch-islamische Wissenschaft in ihrer Blütezeit erreicht hatte. Diese Objekte decken 14 Bereiche ab, darunter die Astronomie und Architektur, die Mathematik und Medizin, ebenso Geographie, Physik und Chemie. 2003 erschien der fünfbändige Katalog zur spektakulären Frankfurter Sammlung. Unverständlich ist, dass es der Universität Frankfurt bis heute nicht gelungen ist, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen."
Der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preisträger Thomas Bauer von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster schrieb auf Facebook zum Tod von Sezgin, die unschätzbaren Werke des deutsch-türkischen Forschers hätten ihn seit vielen Jahren begleitet und würden das auch zukünftig tun. Das 17-bändige Monumentalwerk „Geschichte des arabischen Schrifttums", kurz: GAS, bezeichnet Bauer als „unersetzbar". Er frage sich immer wieder, wie ein einzelner Mensch eine solche Arbeitsleitung realisieren konnte. Sezgin und seine Beiträge für die Wissenschaft würden niemals vergessen werden, führte Bauer aus.
Bülent Ucar, Professor für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück, bezeichnete Sezgin als einen Stern am Himmel der Islam-Studien, der nun erloschen sei.
Fuat Sezgin, der zu den größten lebenden Gelehrten in seinem Bereich gehörte, hat sich schon sehr früh für die Kultur und Geschichte des islamischen Raums begeistert. Sein Interesse für den Fachbereich wurde geweckt, nachdem er an den Vorlesungen des deutschen Orientalisten Hellmut Ritter (1892-1971) in Istanbul teilgenommen hatte. Von 1943 bis 1951 studierte er dann an der Universität Istanbul Islamwissenschaft und Arabistik. Seine türkischsprachige Doktorarbeit „Buhari'nin kaynakları" (Die Quellen von al-Buchari) über dessen Hadith-Sammlung, wies nach, dass al-Buchari auf eine Kette schriftlicher Quellen zurückgreift, die bis in das 7. Jahrhundert n.Chr. zurückreicht, also bis zur Frühzeit des Islams.
Nachdem sich 1960 das Militär in der Türkei an die Macht geputscht hatte, verlor er seine Lehrerlaubnis. Ein Jahr später zog er nach Frankfurt, wo er an der dortigen Uni zunächst als Gastdozent lehrte. Seine Schwerpunkte waren seitdem die Geschichte der Naturwissenschaften im islamischen Kulturkreis sowie die Geschichte des arabisch-islamischen Schrifttums. Die gleichnamige Reihe besteht aktuell aus 17 Bänden und behandelt vielfältige Zweige der islamischen Wissenschaftsgeschichte. Sezgin hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die wissenschaftliche Pionierarbeit der islamischen Welt in ihrer Bedeutung erkannt und gewürdigt wird. Darüber hinaus gehen zahlreiche Übersetzungen alter arabischer Quellen auf ihn zurück. Er ist zudem der erste Träger des Preises für Islamwissenschaft der König-Faisal-Stiftung. 2001 wurde er mit dem „Großen Verdienstkreuz" der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Dies sind nur einige seiner Auszeichnungen. 2009 sollte er zusammen mit Salomon Korn den Hessische Kulturpreis bekommen. Sezgin lehnte ab, da Korn Israels Angriff auf Gaza rechtfertigte.
Die Tochter Hilal Sezgin schreibt in einer Presseerklärung zu dem Tod ihres Vaters, dass seine letzten Lebensmonate tragischerweise von unwürdigen Handlungen Dritter überschattet worden seien, „die wir nur als Versuche verstehen konnten, sich Teile seines Lebenswerks anzueignen." so Hilal Sezgin. „Dass er das Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften an der J.W.Goethe-Universität in Frankfurt gegründet hat, findet im Online-Auftritt der Universität aus uns nicht nachvollziehbaren Gründen keine Erwähnung. Noch als 92-Jähriger nutzte er täglich, auch am Wochenende, seinen Arbeitsplatz in diesem Institut. Und so wurde sein Leben als Wissenschaftler am 12. Mai 2017 mutwillig beendet, als man ihm den Zugang zu seinem Schreibtisch und seinen Büchern verwehrte." Die Universität habe Fuat Sezgin seine handgeschriebenen Manuskript des aktuell in Arbeit befindlichen Buches (zur Geschichte der arabischen Philosophie im Mittelalter) sowie seine Notizen und Vorarbeiten weggenommen „und gab sie ihm bis zu seinem Tode nicht zurück." Auch zweifele man öffentlich seine Eigentümerschaft an den in Jahrzehnten gesammelten Büchern an. Die Familie sei durch dieses „nicht nachvollziehbare Verhalten der Stiftung und Behörden gezwungen, mehrere Rechtsstreitigkeiten zu führen, die noch immer andauern." Hilal Sezgin beschreibt ihren Vater als „hingebungsvoll, fokussiert und bis in hohe Alter schier unermüdlich."
Fuat Sezgin ist am 30.6. in Istanbul verstorben und am 1.7. vor der Bibliothek im Gülhane-Park im Herzen des alten Istanbul bestattet worden.