Namibia: Eine Geschichte der getöteten, armen und zum Schweigen gebrachten Menschen
- YUSUF SELMAN İNANÇ, WINDHOEK
- Aug 01, 2016
Als ich in Namibia landete, wusste ich nicht was mich dort erwarten würde. Namibia hat eine Bevölkerung von 2,3 Millionen. Nach all den Schwierigkeiten in das Land zukommen und den langen Verfahren an der Grenze, machte ich meinen ersten Schritt in die Hauptstadt des Landes, Windhoek. Während meinem 40 Kilometer langen Weg zur Innenstadt, bemerkte ich zwei Dinge: die gut ausgebauten Straßen und die leeren, eingezäunten Felder. Später erfuhr ich, dass die Strasse und die leeren umzäunten Felder entscheidend für das Land waren. Ein Überbleibsel der weißen Minderheit, die die Menschen verschiedener Stämme beherrschten, indem sie die Bevölkerung ausrotteten, ihr Land stahlen und die Massen verarmen ließen.
Namibia ist Nachbarn mit Südafrika, Botswana und Angola, doch obwohl es keine politischen Unruhen oder Unterdrückungen im Land gibt, sind sie nicht offen für die Welt. Die Menschen im Land haben ihr eigenes Leben und ihre eigenen Agenden, die im Allgemeinen nichts mit den weltweiten komplexen Politik zu tun haben.
Es ist das stillste Land, das ich je gesehen habe. Am Abend kann man so gut wie nichts tun, da alle Geschäfte und Restaurants, mit ein paar Ausnahmen, um 17 Uhr schließen. Sogar das größte Einkaufszentrum schließt um 21 Uhr am Wochenende. Als eine gut gestaltete Stadt, bietet Windhoek luxuriöse Villen, die neuesten Automodelle und ähnelt einer europäischen Stadt. Wie ich feststellen sollte, war dies nur eine Seite der Stadt. Die Ureinwohner des Landes wurden gewaltsam verbannt, ermordet, verarmt und mit endlosen sozialen Problemen allein gelassen, während die Minderheit, Weiße von deutscher Abstammung, in ihren geschlossenen Gemeinden die großen Ländereien und die natürlichen Ressourcen genossen.
Ein Bild im Nationalen Museum von Namibia in Windhoek zeigt einen Schädel eines ermordeten Herero.
Einer meiner Motivationen das Land zu besuchen, außer einer der unberührtesten Naturschönheiten der Welt zu sehen, war den Völkermord-Behauptungen auf den Grund zugehen. Die laufenden Verhandlungen zwischen der namibischen und deutschen Regierung weisen darauf hin, dass Berlin sich für die Ereignisse von 1904 entschuldigen und ein Budget für soziale Entwicklungsprojekte im Land zur Verfügung stellen werde. Nachdem die ersten deutschen Missionare im frühen 19. Jahrhundert ankamen, aus eines der am wenigsten entwickelten europäischen Ländern, besetzten sie Namibia auf der Suche nach Rohstoffen. Zu einem Zeitpunkt, während Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande und Belgien verschiedene Teile von Afrika hielten, hatte auch Deutschland das Ziel einen Teil zu besetzen. Es war keine Überraschung, dass die Kolonialmacht Länder einzäunte, wo einheimische Namibier lebten, um nach Diamanten zu suchen. Das Land war reich an Diamanten-Ressourcen und die Deutschen arbeiten daran, diese nach Europa zu schicken.
Als die Herero und Nama sich gegen die deutsche Besetzung auflehnten, wurde der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts durchgezogen. Unter dem Kommando von Lothar von Trohta wurde jeder getötet, ohne Ausnahmen von Frauen und Kindern. Deutsche Kaiser Wilhelm II zeichnete diese Tat sogar aus. Es ist nicht verwunderlich, dass dieser Vorfall Adolf Hitler für seine späteren Taten ermutigt hatte. Obwohl es keine bestimmte Zahl gibt, wurden rund 100.000 Herero und 10.000 Nama getötet, während Tausende gezwungen wurden ihre Länder zu verlassen, um in die Namib-Wüste zu gehen. Viele wurden in Konzentrationslagern versammelt, um als Sklaven eingesetzt zu werden. Tausende von Frauen wurden vergewaltigt, was zu "farbigen" Namibiern führte. Hunderte von Schädeln wurden gekocht, um ihre Haut abzustreifen, und nach Deutschland geschickt, damit erforscht werden konnte, ob Afrikaner Menschen waren oder nicht. Darüber hinaus wurden die Verwandten der Getöteten gezwungen die Häute von den Schädeln zu entfernen. Tausende starben durch Krankheiten auf ihrem Weg in die Wüste und dem Wasser, das die deutschen Soldaten vergifteten. Ein paar Hundert hatten das Glück die Wüste zu überleben und erreichten Botswana, wo sie relativ sicher waren.
Auf der Wand der Christuskirche in Windhoeks Stadtzentrum stehen die Namen der deutschen Soldaten, die für das Morden von Tausenden verantwortlich waren.
Am ersten Morgen meiner Reise befand ich mich im Hilton Hotel der Innenstadt, um mich mit der Vorsitzenden der Herero Genozid-Stiftung, Utjiua Muinjangue und ein weiteres Mitglied der Stiftung, Festus Muundjua zu treffen. Die Stiftung wurde 2003 vom Oberhaupt des Herero Stamms gegründet, um die Menschen aufzuwecken, Kontakt mit anderen Herero in der Diaspora zu machen und Erinnerungen lebendig zu halten.
„Schreckliche Dinge passierten unseren Leuten. Unsere Frauen wurden wiederholt vergewaltigt. Unsere Länder wurden gestohlen", sagte Muinjangue, die schwer ihre Tränen zurückhalten konnte.
„An Stelle dieses Hotels war ein Konzentrationslager", fügte sie hinzu. Muundjua, ein pensionierter Geschichtslehrer, sagte: „Wir alle haben, aufgrund der Vergewaltigungen, deutsches Blut in unseren Adern. Nicht nur die Deutschen, sondern auch das südafrikanische Apartheid-Regime unterdrückte uns bis zu unserer Unabhängigkeit." Namibia wurde, nachdem die Deutschen das Land verließen, von den Briten kontrolliert, daraufhin erhielt das Apartheid-Regime die Kontrolle bis der ikonische Anführer Sam Nujoma einen Kampf begann, der zur Unabhängigkeit und der Abschaffung der Apartheit-Verwaltung führte.
„Während der Apartheid-Periode, waren wir nicht einmal in der Lage ein Wort gegen die Deutschen zu sprechen", sagte er. Auf die Frage über den Stand der Verhandlungen und der Wiedergutmachung, sagten sie: „Die Regierung bezieht nicht alle Herero-Vertreter ein, da sie uns als marginalisiert sehen. Hinsichtlich der Bevölkerung sind wir weniger als andere Stämme, aber dies liegt daran, dass 85 Prozent unserer Bevölkerung ausgerottet wurde."
Deutschland scheint der größte Geber für das Land zu sein, doch sagten Muinjangue und Muundjua, dass die Herero nicht von den Spenden und Projekten wie andere Stämme profierten . Ihre Hauptforderung ist, nach einer offiziellen Entschuldigung, dass sie Wiedergutmachungen erhalten, die das Leben der Herero verbessert.
„Beispielsweise haben wir keine Straßen, Schulen, Krankenhäuser oder eine Universität. Wir brauchen diese Einrichtungen, um Bildung zu erhalten, Krankheiten zu stoppen, die Ignoranz zu bekämpfen und somit an der Zukunft Namibias teilzuhaben", sagte Muundjua. Sie erklärten, dass sie der deutschen Regierung nicht vertrauten, denn Berlin bestreitet, dass ihre Entschuldigung zu rechtlichen Konsequenzen führen wird, da die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes 1948 unterzeichnet wurde; Jahre nach den Vorfällen in Namibia. Jedoch sagte Muinjangue: „Was Deutschland getan hat, wird als Kriegsverbrechen angesehen. Es ist immer noch ein Verbrechen, Menschen systematisch auszurotten, Frauen zu vergewaltigen, Tausende zu versklaven und ihr Land zu stehlen."
Eine Herero Familie, die in der Halbwüste von Okakarara lebt, wo ihre Vorfahren von Deutschen verbannt wurden.
Meine nächste Station war Katatura, eine großer Bezirk, wo weitgehend Menschen der Nama und Herero Stämme lebten. Der Bezirk war das andere Gesicht von Windhoek, das nicht sicher für Ausländer ist, vor allem für Weiße. Die Straßen von Katatura hatten konkrete Anzeichen der Armut. Eine namibische Abgeordnete aus dem Nama Stamm, Ida Hoffman, lud mich zu sich nach Hause ein. Sie war die Gründerin der Nama Völkermord Diskussion und hat ihr Leben mit dem Kampf gegen Deutschland verbracht. Sie begann mit den Worten: „Wie Sie sehen können, haben sie alles gestohlen. Sogar unsere Namen", und wies somit auf ihren deutschen Namen hin. Sie führte aggressiv fort: „Ich habe Gespräche mit den Deutschen ins Leben gerufen, die namibische Versammlung überzeugt dieses Problem zu untersuchen und verbrachte Jahre damit die Deutschen für ihre Taten gegen unser Volk zur Rechenschaft zu ziehen. (…) Hunderte unserer Menschen wurden auf den Straßen erhängt, Hunderte von Köpfen wurden von ihren Körpern abgetrennt, Tausende Frauen wurden vergewaltigt und gezwungen die Kinder zur Welt zu bringen, damit die Deutschen eine Antwort auf die Frage erhalten, ob Geschlechtsverkehr zwischen Weißen und Schwarzen zur Geburt von weißen Babys führen würde." Weiterhin sagte sie: „Was ist das Ergebnis? Sie haben Denkmäler in Swakopmund für ihre Gefallenen und eine Kirche in Windhoek errichtet, wo die Namen der Deutschen auf der Wand stehen."
Sie beschuldigte die Regierung, sie aus dem Ausschuss für die Verhandlungen ausgeschlossen zu haben und sagte: „Wir Herero und Nama, die wirklichen Opfer des Völkermords wurden aus den Verhandlungen ausgeschlossen und der Chance beraubt daran teilzunehmen. (…) Wir sagen nicht, dass die anderen Stämme, die Bürger von Namibia, aus dem Problem ausgeschlossen werden sollten. Wir haben zusammen gekämpft und wurden zusammen schikaniert. Aber Sie sehen unsere Straßen. Wir brauchen Schulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen, damit wir unsere Kinder großziehen können."
Mit ihr hatten wir die Möglichkeit in den Straßen herumzugehen, dabei zogen wir ängstliche und bedrohliche Blicke auf uns. Kinder in zerrissenen und alten Kleidung, Taschenmesser tragende Jugendliche, junge Mädchen vor Bars, schmutzige Straßen, schäbige Häuser, knöchrige Straßenhunde, veraltete Autos und Menschenmengen auf den Straßen zur Arbeitszeit sind konkrete Zeichen der Armut und der Arbeitslosigkeit. Hoffman sagte: „Neben dem Völkermord Problem, müssen wir auch die sozialen Probleme angehen. Unsere Jugendlichen und Kinder werden leicht Alkohol und Drogen süchtig. Junge Mädchen arbeiten gezwungenermaßen als Prostituierte, was die Ausbreitung von Krankheiten wie HIV verursacht."
Namibische Zeitungen berichten, dass pro Tag 127 namibische Mädchen schwanger werden, obwohl es nicht mehr als 250.000 jugendliche Mädchen im Land gibt. „Dies alles geschieht, weil wir arm sind und uns keine Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, um Bildung zu erhalten und unser Leben zu verbessern", sagte Hoffman.
Eine Herero Frau versucht Milch mit einem Stück Stoff zu filtern.
Am nächsten Tag stimmte der Leiter des Verhandlungsausschusses für die namibische Regierung einem Interview zu. Zedekia Josef Ngavirue, der Sondergesandte für Deutschland und ein Mitglied der Herero, begrüßte mich herzlich in seinem Büro. Nachdem er mich an die Ereignisse am Anfang des Jahrhunderts erinnerte, sagte er: „Unser Kampf gegen Deutschland, sowie die Apartheid in der Vergangenheit, beruht auf den humanitären und demokratischen Werten. Wir fordern Deutschland dazu auf, zu akzeptieren, dass sie einen Völkermord begangen haben und für Reparationen zahlen sollen." Deutschland hat ihre Haltung gegenüber dem Land erweicht, als deutsche Minister Namibia besuchten und ihr Land überzeugten, die Gespräche zu starten.
Auf die Frage, wieso manche Gruppen, einschließlich der Herero und Nama, ausgeschlossen wurden, sagte er: „Als die Regierung, versuchen wir jede betroffene Gruppe einzubeziehen. Allerdings muss die Hilfe im ganzen Land verteilt werden. Andernfalls wird es interne Probleme geben. Die Stämme sich vermischt und leben nicht mehr zusammen. Wir werden für Entwicklung arbeiten, vor allem in den ländlichen Gebieten." Auf die Frage, welche Art von Entschuldigung Deutschland in der erwarteten Erklärung machen werde, sagte er: „Wir wissen noch nicht, was für ein Ton oder welche Worte in der Erklärung verwendet werden. Aber wir akzeptieren nicht, dass die Entschuldigung nicht zu rechtlichen Konsequenzen führen wird. Denn unser Volk wurde Kriegsverbrechen und offensichtlichen Völkermord ausgesetzt. (…) Die Reparatur muss echt sein." Viele Namibier, insbesondere Herero und Nama glauben, dass der Betrag für die Entwicklung des Lands nicht effektiv sein wird, da Deutschland ihre eigenen Unternehmen zahlen wird, um Hilfe zu leisten. Beispielsweise, wenn Straßen gebaut werden, übernimmt ein deutsches Unternehmen die Arbeit und nehmen das Geld für die zugewiesene Wiedergutmachung. Scheinbar haben die Namibier bereits das Vertrauen in Deutschland verloren.
An meinem letzten Tag der Reise besuchte ich Okakarara, eine zweistündige Fahrt von Windhoek entfernt, wo verbannte Herero in Hütten in einem Halbwüstengebiet leben. Deutschland hat Hunderttausende von Euro für Namibia gezahlt, doch komischerweise sind die Lebensbedingungen der Exil lebenden Enkel der Opfer herzzerreißend. Ich sah keine Straßen, keine Infrastruktur, keine Brunnen und keine Hoffnung für die Zukunft.
Ein junger Mann, der mich herzlich begrüßte, sagte: „Es gibt keine Arbeit, keine Hoffnung für die Zukunft. Die nächst-gelegene Schule ist Stunden entfernt." Er fragte: „Was werden wir tun?", während er auf die spielenden Kinder zeigte. Ein alter Mann, der zeigte, wo er mit seiner Familie lebte, sagte: „Armut, Krankheit und alle schlechten Dinge sind hier." Als ich nach dem Genozid fragte, sagten sie, dass schreckliche Erinnerungen mündlich an sei weitergegeben wurden. „Die Eltern meiner Großeltern wurden aus ihren Land gewaltsam vertrieben und kamen in diese Wüste", sagte der junge Mann. „Wir wollen, dass die Deutschen Schulen und Straßen bauen", fügte er hinzu, während im Sand um uns flog. Der alte Mann unterbrach uns und sagte: „Sie stahlen alles, was wir hatten, unser Land, unser Vieh, unsere Kultur und unsere Religion" und fügte hinzu, dass er nicht Christ sei, sondern an die Religion seiner Vorfahren hält. Die Familien bestehen aus mindestens fünf Personen und verdienen rund 100 Dollar im Monat.
Die Namibier erwarten von Deutschland eine offizielle Entschuldigung, die rechtliche Folgen haben wird, da die Namibier ernsthafte soziale Probleme haben und verarmt wurden, vor allem in den ländlichen Gebieten. Doch ihr Glauben an die Deutsche Ehrlichkeit ist schwach genauso wie Berlin stark ist. Deutschland hat seit Jahrzehnten den Genozid verschwiegen und die weißen Bewohner des Landes kontrollieren die meisten Unternehmen und geben keine Aufmerksamkeit für die gemeinsame Geschichte. Ein Deutsch-Namibier, der seinen Namen nicht geben wollte, sagte: „Etwas Schlimmes ist in der Vergangenheit geschehen. Doch können wir nicht für die Taten unserer Großväter verantwortlich gemacht werden." Es könnte sein, dass ich der erste war, der ihm über die Probleme in den ländlichen Gebieten und Ghettos der Stadt erzählte. „Ich werde für sie beten", sagte er.